Kritik zu Nebraska

© Paramount

Der alte Mann und die Weite Amerikas: Bruce Dern spielt die grandiose Hauptrolle in Alexander Paynes elegischem Roadmovie über eine letzte, tragikomische Suche nach dem amerikanischen Traum

Bewertung: 4
Leserbewertung
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3.7 (Stimmen: 11)
Billings, eine kleine, schmutzige Stadt irgendwo in Montana. Das Wetter scheint für immer kalt und trübe zu sein, wie die Stimmung der dort lebenden Menschen. Auf einer großen, besonders tristen Straße schlurft ein alter Mann dahin. Der Wind zerzaust sein weißes Haar. Dem Polizisten, der ihn bald aufhält, deutet der Alte auf simple Weise an, dass er aus der Stadt »dort hinter ihm« käme und »nach vorne« gehen würde. Diese ersten Einstellungen aus Alexander Paynes genuin amerikanischem Film erinnern in ihrem Mix aus Existenzialismus und seltsamer Poesie geradezu an Herbert Achternbuschs Filme: »Du hast keine Chance, also nutze sie.«
 
Ein alter Mann im Westen der USA wittert seine letzte Chance, noch mal on the road zu sein, seinen Lebensweg zu vollenden. Fotografiert ist Nebraska in einem kargen, digitalen Schwarz-Weiß, das so wirkt, als sei ihm die Farbe entzogen worden. Ein graues, trauriges Schwarz-Weiß ist das, nicht immer schön, nicht so kontrastreich, aber gewiss in der Tradition der schwarz-weißen Spätwestern Lonely Are The Brave, The Man Who Shot Liberty Valance oder The Last Picture Show stehend. Dieses Stilmittel gibt Payne die Möglichkeit, einen detailgenauen Realismus mit den großen Mythen des amerikanischen Wes­tens zu kombinieren.
Der alte Mann, das ist Woody Grant, und er wird von Bruce Dern gespielt, einer Ikone des New Hollywood der 60er und 70er Jahre. Wenn Dern jetzt diesen alten, ehemaligen Mechaniker Woody spielt, der noch einmal von Montana in seine Heimat Nebraska reist, dann entsteht eine Einheit zwischen dem Gesicht der Figur und der Landschaft, die dieses Antlitz im Lauf der Zeit geprägt hat. Zugleich schwingt mit, unterstützt von Derns Persona: Der Alte ist auch ein Pionier, ein Westerner, ein Kriegsveteran, ein Beatnik, ein Süchtiger, ein Halluzinierender, ein Lakoniker, ein Searcher, ein Geheimnisvoller. Er ist der Amerikaner par excellence als alter, närrischer Mann.
 
Der äußere Grund für Woodys wilde Reiseträume ist ein alter Werbetrick. Eine Million Dollar soll er gewonnen haben, bei einer Agentur, die Zeitschriftenabos verhökert. Jetzt will der gutgläubige Woody nach Nebraska reisen, um das Geld einzufordern. Seine biestig-pragmatische Ehefrau sieht in seinen Reiseplänen eher eine von Alzheimer geprägte Weglauftendenz. Nur einer seiner beiden Söhne, der sensible Loser David (Will Forte), scheint seinen Vater zu unterstützen. Er macht sich mit ihm auf die Reise, um noch mal quality time mit dem Alten zu erleben. Es wird aber viel mehr: ein Trip in die Vergangenheit des Vaters und in die Zukunft des Sohnes.
 
Einen wichtigen, langen Aufenthalt hat das Vater-Sohn-Duo in einer schäbigen Kleinstadt in Nebraska, dem Geburtsort des Vaters. Es kommt zu bizarren Begegnungen, die ins Tragikomische kippen, als diverse Familienmitglieder von Woodys angeblichem Gewinn erfahren. Die erweiterte Familie ist die Kleinstadtgesellschaft selbst, eine angeschlagene, vom wirtschaftlichen Ruin geprägte, oft rachsüchtige community. Doch Payne will nicht nur den Verfall darstellen, er deutet an, dass diese Kleinstädte im Herzen des amerikanischen Westens möglicherweise immer schon graue, fragile, wunderliche und manchmal wunderbare Orte waren. Jedenfalls wirkt das Kaff wie eine alte Westernstadt, mit zwei dubiosen Saloons, einer kleinen Zeitung, die irgendwas zwischen Legende und Wahrheit druckt, und mit einem echten Bösewicht (gespielt von Stacy Keach, einem anderen legendären Charakterdarsteller).
 
Bruce Dern als alter Mann ist vor allem auch ein mysteriöses Objekt, das von seinem Sohn, der wie ein Alter Ego aller jungen Filmemacher und Romanschriftsteller wirkt, näher untersucht wird. Allmählich versteht der Sohn die langwährende Alkoholsucht des Vaters, seine Verschlossenheit, aber auch seine Anständigkeit.
 
Die äußere Hässlichkeit und die innere Schönheit der Orte und Menschen beschreibt Payne großartig. Keine Figur des Films wird verraten, jede realistisch, aber doch liebevoll gezeichnet. Die Wahrheit ist für Payne eine Mixtur aus Wirklichkeit und Sehnsucht. Derns Trip ist ein schmerzlicher, gelebter Traum. Nicht umsonst hat Payne das schöne alte Paramount-Logo für den Vor- und Abspann des Films reaktiviert.

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