Kritik zu Mein Leben als Zucchini

© Polyband

Der französische Animationsfilmer Claude Barras erzählt in seinem melancholischen Puppentrickfilm von schwierigen Kinderschicksalen und dem süßen Trost der Freundschaften

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Ein Kinderfilm, ein Familienfilm oder doch ein Film ausschließlich für die Erwachsenen? Eine seiner Stärken ist, dass man diesen Animationsfilm nicht eindeutig einordnen kann. Er arbeitet nicht mit den einfachen Bildern, die häufig Kinderfilmen vorbehalten sind, und nicht mit den typischen komplizierten Themen der Erwachsenenwelt. Nach dem Buch von Gilles Paris »Autobiografie einer Pflaume« (2004) entstand der Stop-Motion-Puppentrickfilm über den neunjährigen Icare, der am liebsten Zucchini genannt werden will. Bei seiner Mutter führt er kein glückliches Leben, da sie als Trinkerin nur vor dem Fernseher hockt und selten gutes Essen serviert. Nach ihrem Tod, an dem der Junge nicht ganz unschuldig ist, kommt Zucchini ins Waisenhaus. Darüber kann man sich mit ihm freuen, denn das Heim ist ein Ort der Zuflucht und wird von sympathischen Pädagogen geleitet.

Regisseur Claude Barras dreht in seinem Debütfilm die Situation um – die Welt draußen ist den Kindern feindlich gesinnt, hier drinnen, im »Haus der Springbrunnen« haben sie einen geschützten Raum, in dem sie neben Freundschaften auch Sicherheit finden. Alle Kinder haben schwierige Erlebnisse hinter sich und nicht zuletzt deshalb Ticks entwickelt, mit denen sie charakterisiert werden. Der schüchterne Ahmed, der ins Bett macht, sich aber unheimlich gern verkleidet, oder Alice, die immer die Haare vor dem Gesicht trägt, mit der Gabel manisch auf ihren Teller klopft und wenig redet. Aber genau das lässt die Kinder zusammenwachsen, jeder mit seinen individuellen Problemen und Sehnsüchten hält sich an den anderen fest. »Es gibt niemanden, der uns lieben könnte«, das sagt der dominante Simon zu Zucchini und es ist beruhigend, dass die Geschichte das Gegenteil beweist.

Mit den überdimensionierten Köpfen und bunten Haaren erreichen die Puppen eine ganz besondere stilisierte Ästhetik, jede Empfindung ist in ihren riesigen Augen abzulesen, die mal traurig, mal neugierig in die Welt blicken. Die Chefanimatorin Kim Keukeleire war bereits mit von der Partie bei Filmen wie »Frankenweenie«, »Der fantastische Mr. Fox« oder »Chicken Run«, die ähnlich außergewöhnlich sind wie ihre neue Arbeit. Einerseits besticht die ungewöhnliche Gestaltung der Puppen, andererseits wird aber auf einen sehr authentischen Sound Wert gelegt. Jeder Türschlag, jedes Tellerklappern ist realistisch umgesetzt. Die Farbgebung bewegt sich zwischen düsterer Außenwelt und heller Innenwelt im Heim. So wirkt der Film auf einer sehr intuitiven Bild- und Geräuschebene, die unterstützt wird durch einen wunderbaren Score mit Songs der Schweizer Sängerin Sophie Hunger, deren Lieder nur gezielt eingesetzt werden und die dadurch einen Rhythmus vorgeben, der die langsame Erzählweise des Films unterstützt. Wir lachen mit den Protagonisten, fürchten und freuen uns mit ihnen. Das gelingt in dieser emotionalen Tiefe nicht vielen Animationsfilmen so einzigartig wie diesem warmherzig erzählten französisch-schweizerischen Puppentrickfilm.

Mit unzähligen Preisen überhäuft, wird er die Herzen aller Zuschauer gewinnen, egal welchen Alters.

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