Kritik zu Jean Paul Gaultier: Freak and Chic
Jean Paul Gaultier, lange das Enfant terrible der Modewelt, hat sich mit einer Revue einen Lebenstraum erfüllt. Der Filmemacher Yann L'Hénoret hat ihn bei der Entstehung begleitet
Ziemlich zum Ende der Dokumentation, seine Revue hat da gerade ihre umjubelte Premiere im Pariser Varietétheater Folies Bergère gefeiert, da sagt Jean Paul Gaultier, er wisse nicht, was er in Zukunft machen werde, Modenschauen oder Shows oder auch beides, entscheidend sei, alles mit Liebe zu tun und als kreativen Prozess zu sehen. Es lässt sich wie ein Resümee des Modeschöpfers lesen, aber auch als Versprechen dieses Mannes, der lange als Enfant terrible der Modewelt galt, der Madonna für ihre »Blond Ambition Tour« 1990 die legendären konischen BHs auf den Leib schneiderte, mollige und ältere Models auf die Laufstege schickte, die Geschlechtergrenzen verwischte, in und mit seinen blau-weiß gestreiften Matrosenshirts selbst zur Marke wurde und der sich nach dem Tod seines (Lebens-)Partners Francis Menuge im Kampf gegen Aids einsetzte, als die Krankheit noch als Schwulenkrebs verspottet wurde.
Bereits 2014 hatte Gaultier seine Prêt-à-porter-Kollektionen eingestellt, knapp sechs Jahre später, im Januar dieses Jahres, verabschiedete er sich mit seiner letzte Haute-Couture-Show vom Laufsteg. Dazwischen erfüllte er sich mit seiner opulenten Revue »Freak Show« einen Lebenstraum: eine Show, die das Anderssein feiert, von 50 Jahren Modegeschichte und Popkultur erzählt und von dem Leben des 1952 geborenen Modeschöpfers.
Der Filmemacher Yann L'Hénoret hat ihn dabei begleitet und eine unterhaltsame Dokumentation gedreht. Er lässt Gaultiers Mitarbeiter, Musen und Weggefährten aber vor allem ihn selbst zu Worte kommen, setzt auf die Wirkung der teils skurrilen Kostüme, Bilder und einer ganzen Bandbreite populärer Songs. Filmisch ist das wenig innovativ, die Faszination geht allein von Gaultier und seinem Umfeld, seinen Kreationen aus. Entlang der Entstehung der Revue und ohne historisches Material porträtiert der Filmemacher Gaultier als stets gut gelaunt, als umgänglich, zwar perfektionistisch aber nie tyrannisch, manchmal, eher selten, als einen schüchternen, nachdenklichen Kreativen, über den all die Menschen, mit denen er zusammenarbeitete, die er verehrt, die ihn inspirierten – darunter Madonna, Rossy de Palma, Catherine Deneuve, Marion Cotillard, Line Renaud – nur voll des Lobes sind.
Doch fügt L'Hénoret dem nichts hinzu. Er erzählt nicht davon, wie die Marke Gaultier zu einem Imperium wurde, führt nicht weiter aus, mit wem und für wen Gaultier arbeitete, dass er Schmuck für Swarovski entwarf, in Cannes in die Jury berufen wurde. Er verlässt sich einzig auf die Informationen, die ihm bereitwillig erzählt werden, porträtiert einen Ausschnitt der Person oder vielmehr des Modeschöpfers Gaultier. Auch findet L'Hénoret keine eigene Bildsprache, sondern verlässt sich auch da allein auf Gaultier und sein Revueteam, auf die preisgekrönte Regisseurin Tonie Marshall, auf die Choreografien von Marion Motin, auf den Soundtrack von Nile Rodgers. So führt Gaultier selbst Regie über die eigene Dokumentation. Das ist ein Fest für Fashionfreaks und Fans des Modeschöpfers, für Filmfreunde aber ein allzu konventionelles Porträt.
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