Kritik zu Hüter der Erinnerung - The Giver

© Studiocanal

Der Australier Phillip Noyce hat den 1993 erschienenen Bestsellerroman von Lois Lowry verfilmt: Er handelt vom Ausbruch aus einer Welt totaler Kontrolle

Bewertung: 3
Leserbewertung
3.5
3.5 (Stimmen: 2)

Es ist keine Welt des kalten Metalls, wie man sie aus vielen Filmen kennt, in denen über die Zukunft nachgedacht wird. Die Häuser sind fast beschaulich, erbaut im Stil der sachlichen Moderne der zwanziger Jahre, mit Garten. Aber alle sehen gleich aus, geordnet wie zu geometrischen Formen. Das passt zu dieser Welt, in der die Menschen in vollkommener Harmonie miteinander leben, ohne Kriege, ohne Hunger, ohne Hass. Das kontrastarme Schwarz-Weiß des Films in seiner ersten Hälfte weist daraufhin, dass dieser Zustand auch mit einem hohen Preis erkauft ist – eine gewisse Tristesse ist dieser Welt durchaus eigen, in der die Lebenswege von einem Ältestenrat bestimmt und Gefühle mitsamt allen möglichen Krankheiten durch eine morgendliche Injektion vertrieben werden.

Nach einer Klimakatastrophe haben sich die Menschen auf ein Hochplateau zurückgezogen, das von schweren Wolken umgeben ist. Alles ist geordnet in dieser Welt, die Kinder werden ihren Eltern zugewiesen, Kameras überwachen die Straßen – und auf die richtige Wortwahl ist auch zu achten. Eine Vergangenheit gibt es nicht, die Erinnerung an sie wird von Generation zu Generation nur auf eine Person übertragen, den Hüter der Erinnerung, den giver. Zu seinem Nachfolger wird Jonas (Brenton Thwaites) vom Chief Elder (Meryl Streep) ernannt, sein Freund Asher zu einem Drohnenpiloten und seine Freundin Fiona zu einer Krankenschwester in der Neugeborenenabteilung.

Doch etwas ist besonders an Jonas: Er sieht auf einmal teilweise farbig. Ein simpler, doch umso effektiverer Kunstgriff, der ein bisschen an Pleasantville (1998) erinnert. Und die Erinnerungen an die Vergangenheit, die ihm der giver mittels Handkontakt in seine Tempel am Rand der bewohnten Welt mitgibt, verkraftet Jonas, der receiver, auch nicht so leicht. Diese kurzen Momente aus der Menschheitsgeschichte, die auch Aggression und Kriege aufblitzen lassen, gehören zu den stärksten des Films. Und Jonas wird merken, dass dieser Welt etwas fehlt: Gefühle. 

1993 ist das Buch von Lois Lowry erschienen, aber es ist noch beeinflusst von den antitotalitären Dystopien der Jahrzehnte davor wie der Konsumgesellschaft in »Schöne neue Welt« von Aldous Huxley oder dem Überwachungsstaat in »1984« von George Orwell. Auch der Film versteht sich als ein vehementes Plädoyer für die Freiheit des Individuums, erzählt von der Selbstbehauptung eines Einzelnen, die eine ganze Gesellschaft verändern wird. Vor zwei Jahrzehnten schon hatte Jeff Bridges die Rechte des Buches gekauft, ursprünglich sollte sogar sein Vater Lloyd die Rolle des giver spielen, den er nun selbst mit einem in der Originalfassung nur schwer verständlichen Nuscheln gibt. 

Bridges und Streep gehören zu den großen Besetzungscoups dieses Films, aber regelrecht unheimlich sind Katie Holmes und Alexander Skarsgård als Jonas’ Eltern, die immer ein bisschen zombielike, wie ferngesteuert wirken.

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