Kritik zu Harlan – Im Schatten von Jud Süss
Felix Moellers Dokumentarfilm will dem bewegten Leben und umstrittenen Werk von Veit Harlan nachgehen und gleichzeitig in Interviews mit seinen Söhnen, Töchtern und Enkeln eine schwierige Familiengeschichte thematisieren
Angesichts der Tatsache, dass Veit Harlan – neben Leni Riefenstahl – derjenige Filmregisseur der Nazizeit war, dessen Wirken noch weit ins Nachkriegs-Deutschland die Gemüter bewegte, ist es erstaunlich, wie wenig mediale Aufmerksamkeit sein bewegtes Leben bisher gefunden hat. Erst 2001 realisierte Horst Königstein für die ARD das dokumentarische Fernsehspiel »Jud Süß – Ein Film als Verbrechen?«, in dem die – mit zwei Freisprüchen ausgegangenen – Gerichtsverfahren wegen »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« gegen Harlan mit Axel Milberg in der Hauptrolle neu verhandelt wurden.
Es ist also erst mal eine thematische Lücke, die Felix Moeller (unter anderem Regisseur von »Knef – Die frühen Jahre«, Autor von »Der Filmminister – Goebbels und der Film im Dritten Reich« und Berater für »Die Macht der Bilder – Leni Riefenstahl«) mit seiner Harlan-Dokumentation schließt. Doch der Film will deutlich mehr und greift über Vita und Werk des Regisseurs zu den Folgewirkungen, die Harlans Schaffen in den Biografien seiner Nachfahren hinterlassen hat.
Jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Art unglücklich, heißt es bei Tolstoi. Doch manche, möchte man hinzufügen, sind es auf so spezielle Weise, dass sie als mustergültiges Spiegelbild einer ganzen Generation taugen. Die Harlans sind für den deutschen Umgang mit Schuld und Verantwortung solch ein Fall: Die zwei Töchter und drei Söhne aus zwei Ehen (die erste blieb kinderlos) sind zur Sprachlosigkeit zerstritten an der Frage, wie man sich zum verfemten väterlichen Vermächtnis verhält: Thomas, der Rebell, der gegen den gerichtlichen Freispruch mit militanter Hartnäckigkeit und durchaus realen Ergebnissen ankämpft. Maria, die aus Gründen der »Wiedergutmachung« einen Juden heiratete; Susanne, ebenfalls mit jüdischem Ehemann, ging 1989 verwitwet in den Freitod. Von den beiden Söhnen aus Harlans Ehe mit Kristina Söderbaum positioniert sich Kristian als Vatersukzessor in patriarchaler Manier, der familiäre Streitigkeiten bitte nur auf familieninternem Terrain ausgetragen haben will.
Moellers Hoffnung liegt bei den Enkeln, die aus der Distanz reflektierter und freier agieren können. Schade, dass der aus Statements und Filmzitaten montierte Film seinen Protagonisten nicht auch jenseits der üblichen Interviews Raum gibt, ein Eigenleben zu entfalten. Die Idee, einen gemeinsamen Besuch einer Jud Süss-Ausstellung zur Zusammenführung der sechs Enkelinnen und Enkel zu nutzen, bleibt formales Element. Schade auch, wie der von August Zirner gesprochene Kommentar in seinem auktorialen Gestus immer wieder Oberhand über die Eigenleben der Einzelnen gewinnt. Und Stefan Drößler, der Leiter des Münchner Filmmuseums, scheint mit seinen klugen filmästhetischen Bemerkungen nur eine dem Gleichgewicht geschuldete Alibifigur. So taumelt Moellers Film etwas unentschlossen im Spannungsfeld zwischen Fernseh-Biografie und Werkanalyse, familiärer Vivisektion und einfühlendem Familiendrama. Erfahren lässt sich dabei trotzdem einiges. Aber weniger wäre hier sicherlich mehr gewesen.
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