Kritik zu Ganz nah bei Dir

© Timebandits

2009
Original-Titel: 
Ganz nah bei Dir
Filmstart in Deutschland: 
12.11.2009
L: 
91 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Ihre Zuneigung zu Sonderlingen aller Art hat Regisseurin Almut Getto bereits in ihrem Debütfilm »Fickende Fische« an den Tag gelegt. In ihrem zweiten Spielfilm bringt sie einen kontaktlosen Bankbeamten mit einer quirligen blinden Musikerin zusammen

Bewertung: 4
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inen anderen Menschen ganz nah an sich heran zu lassen, ist dem Junggesellen Philipp (Bastian Trost) ein Gräuel, das es kunstvoll zu vermeiden gilt. Sein Rollenvorbild ist die Schildkröte, weil deren Panzer gegen jede Störung immunisiert. Philipp prüft tagsüber im fensterlosen Innern einer Bank Geldscheine auf ihre Echtheit, abends weiß er bei der Sitzung mit seinem Therapeuten alles besser. Nachts sinnt er in einem Talentschuppen auf seine Chance, als Pantomime auf der Bühne von allen gesehen zu werden.

Diesem schrulligen Stadtneurotiker hat das Drehbuch feste Rituale zugedacht, mit denen er sich gegen die Unwägbarkeiten des Lebens wappnet. Akurat mit gestreifter Bettwäsche bedeckt, wacht der Misanthrop beim Weckruf seiner Dampfpuppe auf, die ihm stereotyp wohllautend verkündet, die Betriebstemperatur sei erreicht, bevor sie zischend das Hemd glättet, das er ihr übergezogen hat. Außen pingelig und rechthaberisch, innen weich und ängstlich ist der Held in Almut Gettos schräger Beziehungskomödie für Missgeschicke und aberwitzige Zufälle geboren. Folgerichtig lässt ihn das Drehbuch mit einer Frau zusammenrasseln, die das genaue Gegenteil verkörpert: Lina (Katharina Schüttler), die Cellospielerin, »ist blind, aber nicht blöd«. Sie ist es, die den Fremden auf ein Glas Wein anspricht und an seiner Hand zu rennen beginnt, was sie allein mit dem Blindenstock nie gewagt hätte.

Almut Getto, die 2002 mit ihrem Debütfilm »Fickende Fische« bekannt wurde, erzählt in »Ganz nah bei dir« wieder eine klassische Boy-meets-girl-Geschichte, dieses Mal in Form eines absurden Märchens mit glücklichem Ausgang. Speedy Deftereos, der Hamburger Drehbuchautor aus der Szene um Fatih Akin, mag es eben, wenn seine Figuren »sich dem Leben stellen«. Seine Dialoge haben das Zeug zum Bonmot, so zum Beispiel wenn Philipp seinen Rückzieher aus der aufkeimenden Zuneigung mit dem Satz »zu gut ist auch nicht gut« begründet, weil schließlich alles wieder schlechter werden könnte.

Almut Getto siedelt ihre präzise Schauspielerkomödie, in der sich Bastian Trost und Katharina Schüttler kein Wort schuldig bleiben, an Schauplätzen an, die einen eigenen Ausdruck gewinnen. Straßen, Treppenhäuser, Apartments, Lokale in Hamburg, Berlin und Halle sind als synthetische Repräsentanten kalt moderner Nachkriegsarchitektur gegen die gängigen Konnotationen »besetzt«. Je absurder der Gang der Dinge wird und Philipp sich genötigt sieht, seine Schildkrötenpassivität aufzugeben, desto launiger entpuppt sich die Leere und Glätte als ideales Ambiente für komische Verstrickungen.

Gleich ob der pedantische Held durch einen Einbruch in seine Wohnung aus der Ordnung geworfen wird oder durch eine slapstickartige Intrige plötzlich über viel zu viel echtes Geld verfügt, alle anarchischen Desaster des Films fügen sich zu einer schnörkellosen Komödie über die Notwendigkeit, mit dem sechsten Sinn der Gefühle sehen zu lernen. Charles Chaplin, Buster Keaton, Woody Allen mögen bei manchen Motiven des Films Pate gestanden haben, altmodisch wirkt »Ganz nah bei dir« deshalb dennoch nicht.

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