Kritik zu Engel des Bösen – Die Geschichte eines Staatsfeindes
Michele Placido bringt die kriminelle Karriere von Renato Vallanzasca, einer italienischen Verbrecherlegende der 70er Jahre, auf die Leinwand
Eine kriminelle Karriere: Geboren 1950, wird er als Neunjähriger zum ersten Mal straffällig. Es ist mehr ein Jugendstreich, aber doch der Auftakt zu einem Leben außerhalb des Gesetzes, das Renato Vallanzasca zum »bekanntesten Verbrecher des Landes« (Verleihankündigung) machen wird. 1972 haben er und seine Gang sich in Mailand bereits einen Namen gemacht, auch wenn die Großen noch auf sie herabsehen. Die demonstrative Art, wie die Jungs sich darüber beschweren, dass sie in einem Club »seit einer Stunde« auf ihren Champagner warten müssen, lässt noch offen, ob ihnen der Erfolg schon zu Kopf gestiegen ist. Ihre teuren Maßanzüge jedenfalls führen sie mit sichtlichem Stolz vor.
»More brawn than brain«, urteilt da noch abschätzig einer der Großen über ihn, aber das ist nicht ganz zutreffend, denn hinter den Muskeln, die Vallanzasca gerne spielen lässt, steht weniger das Vertrauen auf die Macht seiner Gang als seine unbedingte Entschlossenheit. Einen Uniformierten streckt er im Knast mit einer Kopfnuss nieder; als man sich später weigert, ihn wegen der Schwangerschaft seiner Freundin in ein Gefängnis in ihrer Nähe zu verlagern, greift er unerschrocken zum Mittel der Selbstverstümmelung, um seine Forderung durchzusetzen.
Manchmal reicht aber auch die Entschlossenheit nicht aus. Beim sorgsam ausgetüftelten Überfall auf eine Bank hat Vallanzasca – unter kaltblütiger Vorspiegelung einer falschen Identität – bereits den Raum erreicht, in dem das Geld gezählt wird, als draußen auf der Straße eine Schießerei ausbricht: Einem wachsamen Uniformierten waren die Männer aufgefallen, die zu lange für ihren Espresso in einem Straßencafé standen. Vallanzasca muss mit ansehen, wie einer seiner engsten Vertrauten von einem Polizisten geradezu hingerichtet wird. Ein schockierender Moment ist das auch für den Zuschauer des Films, in dem die Gewalttätigkeit eine neue Dimension erreicht.
Neben der Chuzpe, die Vallanzasca bei seinen tollkühnen Fluchten beweist, zieht sich die wiederholte Abrechnung mit Verrätern als ein weiterer Strang durch den Film; selbst im Gefängnis scheint das für ihn eine Leichtigkeit zu sein. Am Ende jedoch liegen Triumph und Resignation ganz nah beieinander. Wieder einmal in die Freiheit entkommen, lässt er sich – zwar mit jetzt gelockten Haaren, aber immer noch mit dem charakteristischen Schnäuzer – von zwei Polizisten den Weg zu einem Radiosender zeigen, wo er ein Interview gibt, aber kurz darauf belässt er den Revolver im Handschuhfach liegen und ergibt sich einem 20-jährigen Polizisten mit den Worten: »Du hast den Jackpot geknackt.«
Michele Placido, als Schauspieler bekannt geworden durch die Fernsehserie »Allein gegen die Mafia«, bedient sich in seiner neunten abendfüllenden Regiearbeit bewährter Genremuster. Die frühen Jahre etwa verdichtet er zur klassischen Montage, die den Aufstieg eines Gangsters charakterisiert: Banküberfälle, Kokain schnupfen, Besuche in Bordellen. Und wenn später einer aus der Gang, darauf angesprochen, dass er heute so elegant aussehe, stolz seinen Kaschmirmantel vorzeigt, dann ahnt der Zuschauer, dass er nicht mehr lange zu leben hat.
Der Stil des Films bleibt dabei stets einer nüchtern erzählten Chronik verpflichtet, selbst für die Geschichte zentrale Momente werden filmisch nicht besonders akzentuiert, nur die zur Untermalung eingesetzten Rocksongs sprechen gelegentlich eine andere Sprache. Wenn sich Vallanzasca nach der Exekution seines Vertrauten an die Presse wendet und erklärt: »Ich bin kein Opfer der Gesellschaft, ich komme aus einer guten Familie, ich hätte auch etwas anderes machen können«, dann wird darin der Kriminelle als Profi sichtbar, ein Verbrecher aus freier Entscheidung, der ein gewisses Ehrgefühl hat, dem es entsprechend sauer aufstößt, wenn andere, sei es die Staatsmacht oder aber andere Kriminelle, seine betagten Eltern mit hineinziehen. Die Szene erinnert an eine ähnliche in »Mesrine – Public Enemy«, leider lässt der Film offen, inwieweit Vallanzesca ein italienisches Gegenstück zu diesem war, ob er ebenso als eine Art Robin Hood angesehen wurde und ob es je Berührungspunkte zur politischen Linken gab.
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