Kritik zu Eisheimat

© Mindjazz Pictures

Heike Fink befragt sechs nach dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland nach Island ausgewanderte Frauen über ihr Leben

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Auf ein Jahr hatte sich die junge Frau verdingt, für einen Monatslohn von 400 isländischen Kronen, »Tisch und Wohnung«, wie es im Arbeitsvertrag vom Mai 1949 hieß. Zu verrichten seien die landesüblichen Arbeiten in Landwirtschaft, Haus und Hof. Ein Schiff brachte die abenteuerlustige und arbeitslose junge Frau mit 237 anderen von Lübeck nach Reykjavik. Geblieben ist sie dort bis heute, auch wenn das Leben auf der Insel nicht unbedingt ihren Erwartungen entsprach. Denn die bäuerliche Arbeitsstelle lag weit abgeschieden und das karge Leben bedeutete auch persönliche Abhängigkeit vom neuen Herrn. Und der war nicht nur dem Alkohol verfallen, sondern nutzte die Dienste seiner neuen Kraft auch im Bett. 
 
Wenn deutsche Auswanderung thematisiert wird, sind damit meist die Emigrationswellen des 18. und 19. Jahrhunderts nach Amerika gemeint. Weniger bekannt ist, dass es auch in der Nachkriegszeit einen großen Migrationsschub gab: Über 800 000 Menschen sind im ersten Jahrzehnt nach Gründung der Bundesrepublik ausgewandert. Etwa dreihundert davon waren junge Frauen, die 1949 auf eine Zeitungsanzeige hin nach Island reisten, um dort als Landarbeiterinnen und (nur wenige kamen auch mit Ehemann) genetische Zuträgerinnen zu dienen. Es war die größte Einwanderergruppe nach Island überhaupt. Manche kehrten enttäuscht schon bald wieder nach Deutschland zurück, doch viele – auch enttäuschte – blieben.
 
Etwa sechzig Jahre später ergriff die Filmemacherin Heike Fink die Chance, einige der in Island gebliebenen, mittlerweile weit über 80-jährigen Emigrantinnen ausführlich zu befragen. Sechs von ihnen stellt dieser Dokumentarfilm vor: Frauen, die mit großer Offenheit Zeugnis ablegen. Sie berichten von den höchst unterschiedlichen Beweggründen zur Ausreise damals, die von Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Not bis zur Flucht vor elterlichen Demütigungen reichten. Von den schwierigen Anfängen in der Fremde. Von harter Arbeit und kargen Lebensumständen. Und von Männern, die nicht nur in den Lebensgeschichten der Frauen, sondern auch in manchen Filmbildern als düstere Gespenster herumgeistern. Ihr Soll an isländischem Nachwuchs haben die Frauen erfüllt, Kinder und Enkel sind auch die stärkste Verbindung zur neuen Heimat. Von der alten geblieben sind nur ein paar Fotos und sentimentale Souvenirs wie eine Mecki-Puppe oder eine Tüte mit ein paar Bröckchen deutscher Erde, die einst mit ins Grab sollen. 
 
Formal ist Eisheimat als Interviewfilm angelegt, der die Lebensberichte der bis auf den Abspann namenlos bleibenden Frauen auf kurze Schnipsel herunterbricht und thematisch ordnet. So ist es als Zuschauer nicht ganz einfach, die einzelnen – oft zu verschiedenen Zeitpunkten gedrehten – Mosaikstückchen wieder zu einem Gesamtbild der Personen zu integrieren. Zwischen die Themenblöcke sind – musikalisch mit wachsender Intensität begleitet – islandtypische Landschaftsansichten und Impressionen gesetzt. Atmosphärisch schön stimmig. Schade nur, dass der Film neben all dem Einzelleid den Blick auf gesellschaftliche Hintergründe ganz unterlässt.

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