Kritik zu Ein Tick anders
Eva Strumpf ist ein Mädchen mit »Schluckauf im Gehirn«, doch in ihrer ebenfalls verhaltensauffälligen Familie ist das nicht weiter schlimm
Schon wieder eine Tourette-Komödie? Ja. Doch Ein Tick anders ist kein Rip-off des diesjährigen Deutschen-Filmpreis-Gewinners Vincent will Meer. Andi Rogenhagens Film war längst in Produktion, als Vincent seinen überraschenden Siegeszug durch die Kinos antrat, und er tickt tatsächlich ziemlich anders. Die Handlung verlässt nie den leicht märchenhaften Kleinstadtmief und kommt ohne Lovestory aus, statt psychologischer Feinheiten setzt es haarsträubende Wendungen.
Voller Wärme ist dieser Film dennoch, und das liegt vor allem an seinen Hauptfiguren: Die gerade mal 22-jährige Schauspielstudentin Jasna Fritzi Bauer spielt wunderbar leicht jene Eva Strumpf, die vor der Welt da draußen und fremden Menschen Angst hat, denn die kommen nicht mit einem Mädchen klar, das unvermittelt »Wichser!«, »Langweilig!« oder »Arschlicht! « ausstößt, ja auch ein gepflegtes »Heil Hitler!« nicht verschmäht. Doch in der Natur und im Spiel mit ihren tierischen »Freunden« im Wald ist sie glücklich, und auch ihre Familie gibt ihr Sicherheit, denn da pflegt jeder gewisse Eigenheiten: von der Mutter (Victoria Trauttmansdorff), die manisch vermeintliche Wundermittel kauft, über den Vater (Waldemar Kobus), der seinen Job verloren hat, doch jeden Morgen in Anzug und Krawatte aus dem Haus geht, bis zu Onkel Bernie (Stefan Kurt), einem liebenswerten Loser mit Rockstarambitionen. Und Oma Strumpf (Renate Delfs) sprengt schon mal Staubsauger mit Feuerwerkskörpern in die Luft...
Nicht alle Pointen des Films haben die trockene Durchschlagskraft dieser Kanonenschläge, manches kommt in seiner Schrägheit etwas zu gewollt daher. Der Film hat noch weitere Schwächen, etwa in der Konstruktion des eigentlichen Plots: Weil der Vater einen neuen Job in Berlin findet, soll die Familie samt Eva in die Großstadt ziehen, andernfalls droht der Ruin und der Verlust ihres Hauses. Aber Eva versucht das Ende ihrer häuslichen Geborgenheit mit drastischen Mitteln zu verhindern – bis hin zum Bankraub. Da leiert die Dramaturgie bisweilen etwas. Doch trotz aller Macken kann man diesen Film mögen. Erfreut er doch außer mit seinem herzigen Personal durch feine Volten und viele genuin filmische Einfälle. Ein Tick anders ist aus Evas Perspektive erzählt, und so zeigt uns die Kamera immer wieder die seltsamen Dinge, die in ihrem Kopf vorgehen, Bilder und Szenen, die nur ihrer Fantasie entspringen. Großartig etwa eine hochdramatische Szene, in der Eva beim bösen Bankdirektor unter dem Schreibtisch hockt, in panischer Angst vor Entdeckung: Eine Kaskade bizarrer Bilder stürzt da durch ihr Gehirn, während sie versucht, ihre Ticks zu unterdrücken. Mit einfachsten Mitteln visuell übersetzt, überträgt sich ihre Anspannung unmittelbar auf den Zuschauer – zugleich handfesten Suspense und Lachen provozierend.
Und die Moral von dieser Geschichte? Dass auch die angeblich Normalen ganz schön verrückt sind, ist vielleicht keine so neue Erkenntnis. Wem aber manch andere Behindertenfilme zu konventionell oder problembewusst sind, dem dürfte Ein Tick anders mit seiner märchenhaft-anarchischen Fabulierlust großes Vergnügen bereiten
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