Kritik zu Die Vaterlosen
Frei und kreativ sollten sie sein, die antiautoritär erzogenen Kinder der »Kommunarden«. Die Österreicherin Marie Kreutzer schildert in ihrem Spielfilmdebüt das Wiedersehen verschiedener Halbgeschwister nach dem Tod des Vaters
Mit Hans geht es zu Ende. Er hat Krebs, obwohl er immer gesund lebte. In den 80er Jahren war er Testosteronmatador einer Biolandkommune in der Steiermark. Mit Genossen baute er Rote Bete an, erprobte die »freie« Liebe und setzte dabei zahlreiche Kinder in die Welt. Die sind nun erwachsen und nicht alle stolz auf ihren alten Herrn. Angesichts seines Ablebens kehren vier seiner Nachkommen erstmals seit vielen Jahren in das väterliche Kommunenbauernhaus zurück, von dem nur noch Ton, Steine und Scherben übrig sind. Den vier Halbgeschwistern brennen unterschiedliche Probleme unter den Nägeln, sie suchen Antworten. Doch der alte Sack kneift einfach so die Augen zu. Die vier Geschwister müssen die vertrackte Geschichte nun unter sich ausmachen.
Diese Situation nimmt die Autorenfilmerin Marie Kreutzer in ihrem Debüt zum Anlass, das Projekt einer »alternativen Lebensform « aus der Sicht jener Kinder darzustellen, die in ihr aufwuchsen. Die Regisseurin selbst, Jahrgang 1977, ist kein Kind von Kommunarden, deren Redeweisen sie lediglich in der »Alternativschule« mitbekam. Dabei hat sie offenbar genau hingehört, denn die gelegentlichen Rückblenden in die 80er sind Höhepunkte ihres betont ruhig inszenierten Films. Ganz entspannt im Hier und Jetzt giften die um den Patriarchen rivalisierenden Frauen sich gegenseitig an. Die Männer streiten derweil um die »Eigentumsfrage«. Und wenn ein wütender Nachbar sich erfolglos darüber beschwert, dass einer der Kommunardenbengel ihm wieder einmal den Garten verwüstet hat, dann zeigt sich, dass antiautoritäre Erziehung nur das Recht der Stärkeren zementiert.
Diese Figuren bleiben zwangsläufig schemenhaft, denn der eigentliche Plot des auf zwei Zeitebenen erzählenden Films spielt in der Gegenwart. Was, so die spannende Frage, ist nun aus jenen Kindern geworden, die den Auftrag hatten, glücklich und kreativ zu sein? Marie Kreutzer zeichnet vier Vaterlose, die den überzeugenden Darstellern zwar Raum zur Entfaltung geben. Trotzdem schaut man dem nur distanziert zu. Denn die dramatische Geschichte, in deren Verlauf ein »dunkles Geheimnis« gelüftet wird, wirkt konstruiert. Eines der Geschwister erlitt als Baby einen neurologischen Schaden, weil die Eltern ihre Aufsichtspflicht verletzten. Die Existenz der anderen Halbschwester wurde verheimlicht, außerdem ignorierte der Vater all ihre Briefe. Doch so etwas kommt in den besten Familien vor. Worin diese Kids nun das gescheiterte Projekt ihres Hippievaters beerben – dieser Frage weicht die Regisseurin aus. Sie hat sich mit dem Thema verhoben. Der Blick zurück in jene Szene à la Otto Mühl, in der man spontan sein musste und in der alles ausdiskutiert wurde, erweckt Erwartungen, die das gelegentlich sperrig wirkende Kammerspiel nicht erfüllt. In Sie haben Knut etwa zeigt Stefan Krohmer dagegen sehr viel subtiler auf, wie die Utopie einer sozialen Gerechtigkeit in Wahrheit eine Neurosenhölle hervorbrachte. Welchen Knacks WG-Kids tatsächlich davontragen, kann man hier übrigens auch genauer studieren.
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