Kritik zu Die große Passion
Der Münchener Dokumentarfilmer Jörg Adolph, ein Beobachter von Pop- und Literaturphänomenen, hat das Oberammergauer Passionstheater durch einen Produktionszyklus begleitet. Entstanden ist ein sympathetischer und entschieden unkitschiger Film
Nicht auszuhalten, wenn der Vorhang im Oberammergauer Passionsspielhaus beiseite rauscht und Postkartenschönheit sichtbar wird: Himmel, Berge, Wiesen und mittendrin ein gemütliches Kreuzweg-Marterl. Zu Beginn von Die grosse Passion leistet sich Jörg Adolph die Trickmontage augenzwinkernd, doch seine Chronik der Passionsspiele 2010 ist das blanke Gegenteil von hölzernem Kitsch. Nicht die fertige Form des Bibelfestspielrituals interessierte den Münchener Dokumentarfilmer, sondern das Auf und Ab der fast zweijährigen Arbeit daran. Wie kann man die unglaubliche Geschichte des Jesus von Nazareth erzählen, ohne in den katholischen Dogmen zu erstarren? Wie lässt sich mit den Lokalinteressen des Dorfes, den finanziellen und politischen Grabenkämpfen ein Großereignis stemmen, das solch widerstreitende Energien wie Glauben und Folklore, Mythos und Geschäft einigermaßen partizipativ in sich vereinigt?
Die grosse Passion begleitet den charismatischen Spielleiter Christian Stückl und seinen listig brummelnden Dramaturgen Otto Huber durch den Prozess. Mit diesem bajuwarisch- anarchischen Gespann im Mittelpunkt baut die teilnahmsvolle Montage (Anja Pohl) den Erzählfluss auf. Im Wechsel von intimeren Szenen der gemeinsamen Textarbeit, dem einverständigen Staunen über erste Modelle (Bühnenbild: Stefan Hageneier), den konzentrierten Teambesprechungen mit Gewerken und intensiven Proben mit den beiden Jesus- Darstellern (Frederik Mayet, Andreas Richter) entsteht ein komplexes Zusammenspiel, das sich ohne Kommentar entfaltet.
Überraschend offen reiben sich die Macher mit den krisenbewussten »Produzenten« vom lokalen Festspielkomitee. 2009 fürchteten die Oberammergauer, ihr Mythos würde durch die Wirtschaftskrise der USA einbrechen. Man überlegte sich griffige Slogans und schickte Jesus Frederik Mayet, zugleich Pressesprecher der Festspiele, mit einer der beiden Marias (Andrea Hecht) in die plastikfarbene Talkshow eines US-Bibelsenders – ein Beispiel für viele, mit liebevollem Sinn für die Realsatire eingestreute Episoden.
Seit 1633, als Oberammergau von der Pest verschont wurde, erfüllt das Dorf sein Dank-Gelübde, in jeder Dekade die Passionsgeschichte aufzuführen. Nur eingeborene oder eingemeindete Bewohner dürfen sich Bart und Haupthaar wachsen lassen und zur Wahl für eine tragende Rolle stellen oder als »Volk« mitspielen. Gegen die Traditionalisten wurde die Stimmberechtigung der Frauen und ihre Präsenz in den Massenszenen durchgesetzt. Auch Stückls Textfassung, die antijüdische Ressentiments strich und die jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens durch »lebende Bilder« aus dem Alten Testament integrierte, ist noch immer ein Streitobjekt.
Am Ende war Oberammergau 2010 »inhaltlich und finanziell« ein Erfolg, resümieren die Strippenzieher. Jörg Adolph begleitet diese Meldung in einem Modus, der den Herzschlag seines Films auszeichnet: Hinter den Kulissen scheint das zweitausend Jahre alte Spiel gelassen souverän bei den Oberammergauern angekommen. Der Dickkopf Christian Stückl erlaubt sich jedoch die Frage, ob die erzählte Geschichte im Kern überhaupt etwas mit der Kirche zu tun hat, die ihre Macht von ihr ableitet.
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