Kritik zu Der letzte Mentsch

© Farbfilm

Mario Adorf in der Rolle eines Mannes, der seine aktiv verdrängte Vergangenheit auf einer Reise nach Ungarn doch noch wiederfinden will – Katharina Derr als unsentimentale Göre hilft ihm dabei

Bewertung: 4
Leserbewertung
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3 (Stimmen: 1)

Der Tod ist von Anfang an präsent in Pierre-Henry Salfatis Film »Der letzte Mentsch« (kein Schreibfehler!). Ein alter Mann ist zu sehen, der auf dem Rücken im Gras liegt. Mario Adorf, 83, verkörpert diesen Marcus Schwarz, der, das legt sein Gesichtsausdruck nahe, über die letzten Dinge nachdenkt. Sein Weg führt ihn danach zu einer Beerdigung auf einem jüdischen Friedhof – und zu einem folgenreichen Entschluss. Schwarz will sicherstellen, dass er nach seinem Tod als Jude begraben wird.

Das Drehbuch des 1953 geborenen Franzosen Salfati und seiner Koautorin Almut Getto gewinnt aus dieser Konstellation sein Drama und seine Dynamik. Marcus Schwarz, Überlebender von Theresienstadt und Auschwitz, stammt ursprünglich aus Ungarn, hat aber seine Wurzeln beseitigt und seinen früheren Namen – Menachem Teitelbaum – ausgelöscht. Was an die Vergangenheit erinnert, ist einzig die eintätowierte Häftlingsnummer von Theresienstadt. Ohne Dokumente, das Zeugnis von Verwandten oder glaubwürdige Zeugen bliebe dem in Köln lebenden, alt und müde gewordenen Mann ein jüdisches Begräbnis aber verwehrt, erklärt ihm ein Rabbi. Schwarz, der jahrzehntelang die Verdrängung als Überlebensstrategie perfektioniert hat, ist gezwungen, in die eigene Vergangenheit einzutauchen. Seine Rückkehr nach Vác in Ungarn ist der Prozess einer Selbstwiederfindung, die Inbesitznahme einer abgelegten Identität.

»Der letzte Mentsch« behandelt ein todernstes Thema mit Witz und Leichtigkeit. Das liegt einmal an dem zurückgenommenen Spiel Mario Adorfs. Melancholisch stimmende Lebenserfahrung und die Angst vor der Wiederbegegnung mit dem Vergangenen motivieren diesen Marcus Schwarz. Und dann ist da noch sein dickköpfiger Charme, der sich im Kontakt mit der jungen, unabhängig-wilden Deutschtürkin Gül (Katharina Derr) entfaltet. Sie nimmt es auf sich, Schwarz im Auto ihres Freundes nach Ungarn zu chauffieren. Der alte Mann und das Gör – dieses Genre ist Adorf nicht fremd. 2012 kettete ihn das Schicksal in Lola Randls Film »Die Libelle und das Nashorn« an Fritzi Haberlandt;  ihre beiden Figuren durchlebten eine von anfänglichen Kabbeleien und wachsender Intimität beherrschte Dortmunder Nacht. In Salfatis Film funktioniert die Balance zwischen Persönlichem und Pathos, Komödie und Abgrund perfekt. Ganz langsam bricht Schwarz’ gepanzertes Innenleben auf. Er rekapituliert die Sinnkrisen seiner Existenz mit der hoffnungslosen Erkenntnis: »Das Leben ist doch überall gleich absurd.«

»Mich fasziniert, warum und wie Menschen solche Erlebnisse verdrängen«, hat Mario Adorf gesagt. Er beglaubigt die Pein eines Mannes, der nicht sicher sein kann, ob er sein Überleben als Fluch oder als Segen begreifen soll. Mit viel Würde  gestaltet er diesen gespaltenen Schwartz/Teitelbaum. Hannelore Elsner hingegen als blinde Ethel, die Schwarz in Vác trifft, trägt zu dick auf; schamanenhaft vibrierend sucht sie den großen Auftritt in den Tiefen eines Gewässers. Ein kleiner, missglückter Kontrapunkt zu Adorfs geerdeter Poesie, die den Film prägt und trägt.

Meinung zum Thema

Kommentare

Der Film IST tief beeindruckend, da besteht keine Frage. Die Suche nach der Identität, die von ihm selber betonte Tatsache, dass durch die eigenen Verdrängung für so lange Zeit die "amtliche" Beglaubigung seiner Identität schwer geworden ist, liegt auf der Hand. Dennoch entsteht in dem Film eine Spannung zwischen der persönlichen Suche nach Identität und dem gesamten Umfeld, das er wiederfindet und das ob dieses Impulses sich verändert (Selbstmord seiner Braut, etc.) und dem Unverständnis ob der Weigerung des Rabi, die Vielzahl der Hinweise auf seine Identität nicht anzuerkennen. Damit komme ich nicht gut klar, dass der Film hier nicht mehr Infos gibt, und man daher nur die ganze Zeit denkt: Eine offizielle Persönlichkeit, wie der Rabi, kann die zwei körperlichen Indizien an Schwarz, die Zeugenaussage des ersten, christlichen Zeugen und später die Zeugenaussage der Frau, sowie das intensive Opferwissen von Schwarz nicht dermaßen ignorieren, um nicht selber Nachforschungen anzustellen und zumindest einen Rechercheprozess von Seiten der Synagoge einzuleiten. Da die Ignoranz des Rabbis so stark ist, wird der Film gestört, denn es geht anscheinend nur darum, die Dimension des Leidens durch den Shoa inszenatorisch noch zu steigern. In dieser inszenatorisch nicht geglückten Form gefiel mir das nicht.

Ihr Film und seine Darstellung der Historischen Fakten, Freundschaft-en, Liebe-n, Sterben und Tod-e ist ein sehr starke + sehenswerte Produktion .
Großer Dank an alle Darsteller/-innen und Drehbuchautor+Ko-autorin. Ihre Claudia Kayal

Dieser Film, leider zu sehr später Stunde im Regionalprogramm, hat mich sehr berührt. Warum sieht man solch hervorragende Produktionen nicht früher, anstatt dieser ständigen, öden Krimis und amerikanischen Schrotts? Mario Adorf hat diesen alten, jüdischen Mann so wunderbar und treffend gespielt, einfach meisterhaft. Aber auch seine junge Gegenspielerin (Katharina Derr) hat mich mit ihrer schauspielerischen Leistung sehr überzeugt - ganz im Gegensatz zu Hannelore Elsner - sie hat es nicht verstanden, ihre Fähigkeiten der Rolle der alten Ethel anzupassen. Frau Elsner war hier aus meiner Sicht eine totale Fehlbesetzung - schade.
Trotz diesem Manko ein sehr sehenswerter Film mit bedrückendem, geschichtlichen aber auch konservativ religiösem Hintergrund, den besonders auch junge Menschen sehen und begreifen sollten.

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