Kritik zu Dear Evan Hansen

© Universal Pictures

Auf den Bühnen in New York und London ist das Stück extrem erfolgreich. Seine Verfilmung durch Stephen Chbosky aber ist nun sehr umstritten – was weniger mit der Musik, als mit dem seiner Rolle entwachsenen Hauptdarsteller zu tun hat

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Eigentlich hätte 2021 das große Jahr der Leinwandmusicals werden sollen, doch so wirklich rund läuft die Sache nicht. »In the Heights« lockte nicht einmal in den USA auch nur annähernd so viele Zuschauer:innen an wie erwartet, und sowohl »Everybody's Talking About Jamie« als auch »Cinderella« wurden von den Verleihern kurzerhand zu einem Streamingdienst abgeschoben. Nun startet mit »Dear Evan Hansen« die Verfilmung eines der größten Broadway-Hits der vergangenen fünf Jahre in den Kinos, doch auch die kann – während alle auf Spielbergs »West Side Story« warten – das Ruder für das Genre nicht herumreißen.

Evan Hansen (Ben Platt) ist nicht nur der Protagonist dieser Geschichte, sondern auch der Autor jenes Briefes, der ihr den Titel gibt. Sich selbst zu schreiben und da­ran zu erinnern, was das Leben Gutes bereithält – diese Aufgabe hat ein Therapeut dem Teenager gestellt, um seine Angststörung in den Griff zu bekommen. Doch viel Gutes bietet der Schulalltag für den Sohn einer alleinerziehenden Mutter (Julianne Moore) nicht. Die angebetete Zoe (Kaitlyn Dever) anzusprechen, ist ein Ding der Unmöglichkeit, deren Bruder Connor (Colton Ryan) ist nur ein Bully unter vielen, und Klassenkamerad Jared (Nik Dodani) gibt sich nur mit ihm ab, weil die Mütter befreundet sind.

Eines Tages zieht ausgerechnet Connor einen dieser sehr verzweifelt klingenden Briefe Evans aus dem Schuldrucker, versteht ihn als Provokation und stürmt damit davon. Wenig später stellt sich heraus, dass er sich das Leben genommen hat – und seine Eltern (Amy Adams, Danny Pino) halten die Zeilen für seinen Abschiedsbrief und Evan für Connors besten Freund. Statt ihnen die Wahrheit zu sagen, erfindet Evan zum Trost eine Freundschaft, die es nie gab, gefälschter E-Mails inklusive. Bald kommt er so nicht nur Zoe näher, sondern gehört auch zu den Gründern des »Connor Project«, das Jugendlichen mit psychischen Problemen helfen soll. Evan blüht auf, doch auf Dauer lässt sich das immer weitere Kreise ziehende Lügenkonstrukt natürlich nicht aufrechterhalten.

Dass Evan Hansen, so sehr er selbst auch leiden mag, als Protagonist reichlich unsympathisch ist, ist vielleicht auf der Bühne, wo sich die Einfühlung des Publikums ohnehin nie bis ins Letzte herstellen lässt, kein Störfaktor. Für Stephen Chboskys Film, der bewusst auf Nähe und Großaufnahmen setzt, wird die Sache aber zum Problem, das sich durch die Besetzung noch verstärkt. Platt, der in der Rolle am Broadway berühmt wurde, ist inzwischen zehn Jahre zu alt, und alle Versuche, ihn jünger wirken zu lassen, unterstreichen leider nur, dass er auf befremdliche Weise fehl am Platz wirkt.

Gesanglich ist Platt exzellent, und der Rest des Ensembles sorgt für etliche gelungene Musicalmomente, selbst wenn die Powerballaden von Benj Pasek und Justin Paul (»La La Land«) mitunter Emotionen he­raufbeschwören, die vom Plot unterwandert werden. Doch der Titelheld sowie ein allzu lapidarer Umgang mit Themen wie Selbstmord und mentaler Gesundheit bereiten unwohle Gefühle über das Ende hinaus.

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