Kritik zu Das fliegende Klassenzimmer
Zwischen »Harry Potter« und »Herr der Fliegen« wird in der vierten Verfilmung von Erich Kästners Romanklassiker ein Internat erneut zur Schule für das Leben, jetzt mit Mädchen in den Hauptrollen
Zum neunzigjährigen Jubiläum findet Erich Kästners berühmtes Jugendbuch in der bereits vierten Verfilmung ins Kino. 1933 veröffentlicht, 1936 verboten, ist der Roman ein Dauerbrenner, dessen Geschichte sich durch alle zeitgeistigen Updates hindurch als unverwüstlich erweist. 1954 trat noch Kästner selbst als Erzähler auf, der sich mit seinen literarischen Figuren im Café trifft, und Peter Kraus und Michael Verhoeven feierten ihr Filmdebüt. 1973, mit Joachim Fuchsberger als gütigem Lehrer Justus Bökh, raufen sich Internats- und Realschüler zum Sound von Spaghettiwestern. 2003 verwandeln die Pennäler das Theaterstück »Das fliegende Klassenzimmer«, dessen Einproben als roter Faden der Handlung dient, in ein Rap-Musical, und die Wiederbegegnung von Justus und seinem Jugendfreund »Nichtraucher« Robert, dem Mentor der Schülerclique, bekommt im Zuge des Mauerfalls eine politische Dimension.
In der jetzigen Version haben Mädchen, bereits 2003 stärker präsent, den Jungsclub endgültig aufgerollt. Aus dem rechtschaffenen Romanhelden Martin wird Martina, eine strebsame Berlinerin aus bescheidenen Verhältnissen, die ein Internatsstipendium in Aussicht hat. Jonathan wird die rebellische Jo, Martinas dunkelhäutige Zimmerkameradin. Mit dem stämmigen Matze und dem kleinen Uli wird die Clique von fünf auf ein Quartett verkürzt. Weitere Änderungen gibt es etwa bei Lehrer Kreuzkamm, nun eine verhuschte Lehrerin (Hannah Herzsprung, deren Vater Bernd 1973 den »schönen Theodor«, einen Tutor, verkörperte). Ihre Tochter ist nicht mehr das Kidnapping-Opfer der »Externen«, sondern nun deren Anführerin.
Der vorherrschende Eindruck, den die Verfilmung hinterlässt, ist ihre Unbeholfenheit. Der Ort, das fiktive Alpendorf Kirchberg mit seinem burgähnlichen Internat (gedreht in Südtirol), ist eine Referenz an den Roman und vermittelt durch die Hochglanzfotografie – besonders bei der Zugfahrt Martinas durch die Alpen – eine anziehende Harry-Potter-Atmosphäre. Die Leitideen jedoch werden vernachlässigt. Das Theaterstück, das die »Internen« einproben wollen, entsteht so urplötzlich aus dem Nichts wie die Versöhnung von Dörflern und Internatsschülern. Justus und sein wiederentdeckter, in einem Eisenbahnwaggon lebender Aussteigerfreund bekommen dagegen einen unverständlichen Konflikt angedichtet.
Sorgen die existenziellen Nöte der Kinder und die Brutalität ihrer Auseinandersetzungen nach wie vor für emotionale Spannung, wird Kästners Mantra von Freundschaft, Zivilcourage, Mut und Ehrlichkeit in der Beziehung zwischen Martina und Jo fast ins Gegenteil verkehrt. Mit Martinas Ankunft beginnt eine actionreiche Verfolgungsjagd, in deren Verlauf nicht nur die unvermeidlichen Themen Graffiti und Skaten abgehakt werden, sondern Jo zudem einen Sachschaden verursacht, dessen finanzielle Folgen die ganze Clique tragen muss. Das beschert der ohnehin gebeutelten Martina Kummer über die gesamte Handlungslänge, wird aber von Jo lässig mit »Du hast doch Geld!« abgetan. Wer solche Freundinnen hat, braucht keine Feindinnen mehr.
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