Kritik zu Critical Zone

© W-film

2023
Original-Titel: 
Mantagheye Bohrani
Filmstart in Deutschland: 
07.11.2024
V: 
L: 
99 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Der in Locarno ausgezeichnete Film des iranischen Regisseurs Ali Ahmadzadeh begleitet Drogendealer Amir bei seinen Kurierfahrten durch Teheran. Auf meditative, aber spannende Weise erzählt der Film mit subversiven Zwischentönen von einem orientierungslosen Mann in einer unterdrückten Gesellschaft

Bewertung: 4
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Wie sich die Bilder gleichen. 2015 gewann der Iraner Jafar Panahi mit seinem Film »Taxi Teheran« den Goldenen Bären der Berlinale. Panahi saß in »Taxi Teheran« am Steuer eines Autos und fuhr kreuz und quer durch Teheran. Er hatte auf dem Armaturenbrett eine Kamera installiert und nahm seine Unterhaltungen mit wechselnden Fahrgästen auf. Panahi durfte nicht zu den Filmfestspielen reisen. Das iranische Mullah-Regime hatte ihn wegen »Propaganda gegen das System« zu 20 Jahren Berufsverbot und einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt.

Im vergangenen Jahr wurde Ali Ahmad­zadehs Film »Critical Zone« in Locarno mit dem Goldenen Leoparden des Festivals ausgezeichnet. Auch in dem ohne offizielle Genehmigung mit versteckten Kameras gedrehten Werk spielt ein durch Teheran fahrendes Auto eine Hauptrolle. Der 1986 in Teheran geborene Ahmadzadeh konnte den Preis ebenfalls nicht persönlich entgegennehmen. Seine Filme, darunter »Atom Heart Mother« (2015) und »Phenomenon« (2017), haben die iranischen Behörden verboten. 

»Critical Zone« startet wortlos und spannend. Ein Krankenwagen fährt durch ein schier endloses Straßentunnelsystem. Tore öffnen und schließen sich, Autos starten, Männer mit Rucksäcken erscheinen, Päckchen werden verteilt. Töne wie von einem Echolot begleiten die Szenen. Was ist hier los? Nach knapp sieben Minuten die ersten Worte: »Blitzer voraus.« Das Navigationsgerät in Amirs (Amir Pousti) Auto hat gesprochen. Abbas Rahimis Kamera beobachtet ihn in Großaufnahme, rauchend und scheinbar unbewegt in die Teheraner Nacht blickend. 

Am Ende einer langen, geduldig vor­bereiteten und Rätsel aufgebenden Exposition klären sich die Dinge. Amir ist Drogendealer, der präzise und konzentriert seine Ware in kleine Döschen und Päckchen einsortiert. Nachts steuert er im Auto seine Kunden an oder transportiert sie wie ein Taxifahrer durch die Stadt. Der Mann mit wilden Locken und wucherndem Bart kann nicht ohne Drogen leben. Die von vielen ­Filmen transportierte Vernunft-Maxime »Don't get high on your own supply« – sinngemäß: Finger weg von Cannabis & Co. – gilt ihm nichts.

Schicksale werden in Ahmadzadehs Film wie von einem Spot kurz erhellt und verschwinden dann im Dunkel. Zum Beispiel die Verzweiflung eines Mannes, den Amir »Herzchen« nennt. Eine schöne junge Tänzerin fragt er: »Wie lange willst du dich hier anketten? Wofür?« In einem Altenheim verteilt er fürsorglich selbst gebackenen »Schokoladenkuchen« (mit Haschischkern) an die Bewohner. Einem depressiven jungen Mann erscheint er als Heiler, der die verwundete Seele mit halluzinogenen Substanzen und zärtlichen Gesten behandelt.

Szenen wie diese erzählt der Film in einem meditativ-melancholischen Ton. Amirs Gesicht vor Projektionen der Stadt und Grafiken ist ein Spiegel seiner Verlorenheit und Orientierungslosigkeit. Das kontrastiert Ahmadzadeh mit sprachlich obszönen Ausbrüchen Amirs und einem Bilderwirbel, in dem sich die Hauptfigur wie im Schleudergang im Kreis dreht. Als sei er Teil eines Videospiels, bewegt sich sein Wagen in Hochgeschwindigkeits-Zickzack-Fahrten durch die Stadt. Amirs Welt – und symbolhaft die iranische Gesellschaft – ist aus den Fugen. Das Navi gibt immer wieder Richtungen vor, bietet aber keine Hoffnung versprechenden Perspektiven. Schon gar nicht, wenn es in einer ironischen Pointe feststellt: »Sie haben Ihr Ziel erreicht.«

In einer großartig inszenierten Sequenz sitzt eine Flugbegleiterin neben Amir. Es geht um Drogen, aber offenbar auch um Sex. Schreie der Frau kündigen ihren nahenden Orgasmus an, doch als die Lichter eines (staatlichen?) Fahrzeugs aufleuchten, schaltet Amir in den Rückwärtsgang und hetzt davon. Die Schreie der Frau werden lauter, sie lehnt sich aus dem Fenster und sendet eine wütende Botschaft ans iranische Regime: »Fuck you!« Das Intime wird politisch.

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