Kritik zu Cosmopolis
Wie viel Allegorie verträgt ein Film über den Finanzkapitalismus?
David Cronenberg verfilmt Don DeLillos vor neun Jahren vielleicht noch hellsichtiges Buch mit Robert Pattinson als Metapher eines Vampirs
Der überraschendste Spezialeffekt in David Cronenbergs Cosmopolis ist der Hauptdarsteller selbst. Robert Pattinson spielt einen Vampir. Moment mal, hatten wir das nicht gerade? Blutleeres Gesicht, tote Augen, kalte Leidenschaft. Wie viel Allegorie verträgt ein Film über den Finanzkapitalismus? Pattinson rollt in einem kugelsicheren Sarg durch Manhattan zu einem Friseurtermin; um ihn herum verfällt die Welt in Chaos und zwischen den Trümmern der kollabierenden Märkte gibt es kein Vorankommen mehr. Während das Volk auf den Straßen der westlichen Zivilisation eine grandiose Abschiedsfeier schmeißt, wird der Metallsarg zur Bühne, auf der sich ein sonderbares Spektakel abspielt.
Eric Packer, 28 Jahre, Jungmilliardär, thront auf dem Rücksitz seiner Stretchlimousine und muss mitansehen, wie sein Imperium in sich zusammenfällt. Ab und zu geht die Tür auf und jemand Neues schiebt sich in das Wageninnere: seine Programmierer, seine Kunsthändlerin, die sich zu einem Quickie überreden lässt, die »Cheftheoretikerin«, sogar sein Proktologe. Sie reden, wie man Schauspieler noch nie bei Cronenberg hat reden hören: ohne Punkt und Komma und wie von Sinnen. Aus ihren Mündern kommen Sätze, für deren Konstruktion ihr Autor Don DeLillo viel Zeit aufgewendet haben muss. Oder er hat sie sich einfach per Mausklick mit einer Philosophiesuchmaschine im Internet zusammenstellen lassen. Irgendwann brummt einem der Schädel. Aber es gibt kein Entrinnen aus dem Inneren des Fahrzeugs, in das kein Geräusch von außen dringt, und das die herzlose Sprache der Mitfahrer einschließt, bis jeder sinnfällige Gedanke abgetötet ist.
Nach der Premiere in Cannes hatte die Kritik sich schnell auf einen Schuldigen für Cronenbergs launige Finanzkollaps-Endzeit-Parabel geeinigt. Es war Pattinson mit seiner limitierten Begabung, dem immergleichen Gesichtsausdruck, seiner leicht wächsernen Hübschheit. So etwa soll die Geißel des modernen Finanzkapitals aussehen? Hätte er statt eines 2000-Dollar-Anzugs einen Kapuzenpullover getragen (wie kürzlich Mark Zuckerberg bei seiner Wall-Street-Stippvisite), wären uns vielleicht einige unnötige Missverständnisse erspart geblieben. Denn Pattinson macht seine Sache diesmal erstaunlich gut – so gut er kann. Dazu gehört auch gar nicht viel. Packer ist ein reaktiver, passiv-aggressiver Charakter, der Situationen sorgfältig abwägt. Pattinsons ausdruckslose Mimik ist wie ein Blick in den Abgrund von Eric Packers Seele. An seinem Hauptdarsteller ist Cronenberg mit Cosmopolis sicher nicht gescheitert. Sondern an DeLillos Text.
DeLillos verschraubte Kunstsprache ist einfach nicht filmkompatibel. Es mag nachvollziehbar sein, was gerade Cronenberg an den wuchernden und mäandernden Gedankengängen DeLillos so gereizt hat, aber er findet keinen Zugang zu dieser irrwitzigen, geradezu überwältigenden Sprache. Cronenbergs Bilder hängen wie eine überzählige Extremität an DeLillos Text, und so bleibt ihm letztlich nichts anderes übrig, als den allegorischen Raum des Filmes zu verdichten. Die Limousine wird zum Techno-Uterus: eine gepanzerte Oberfläche aus Marmor, Glas und Metall, schall- und blickdicht und verkleidet mit blinkenden Flachbildschirmen. Verlässt Packer sein Gefährt, ist er der Welt schutzlos ausgeliefert. Dann muss er seine nicht minder soziopathische Frau um Sex anbetteln, oder er wird mit Torten beworfen. Aus dem Innenraum heraus sieht die Realität dagegen wie im Kino aus, und Cronenberg spitzt die Theatralik dieses Settings noch zu, indem er einen Großteil seines Films vor Rückprojektionen drehen ließ. Gefilmt durch ein Weitwinkelobjekt erfährt Packers Welt eine groteske Krümmung.
Doch Cronenbergs Todessymbolik hat sich irgendwann abgenutzt, spätestens wenn Packers Entourage inmitten des Globalisierungsprotests auf den Trauerzug eines toten Rappers trifft. Das Endzeitszenario bleibt immer nur eine theatralische Drohkulisse. So ist der einzig echte Cronenberg-Moment in Cosmopolis ausgerechnet Pattinson vorbehalten, als einsamer Höhepunkt eines 20-minütigen, nervenzehrenden Monologs. Da greift Packer zu seiner Waffe und schießt sich in die Hand. Es ist auch das einzige Mal, dass sich so etwas wie ein Gefühl in Pattinsons Gesichtsausdruck abzeichnet.
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