Kritik zu Charlatan
Agnieszka Hollands Biopic über den Heiler und Pflanzenmediziner Jan Mikolášek, dessen Karriere mehrere Regime umspannte
Er ist, wie man so sagt, ein schwieriger Charakter. Er hat nichts Verbindliches, nein, er ist eigentlich nicht mal freundlich. Er ist vielmehr ruppig, bestimmend, stur und kompromisslos. Und von Empathie kann auch keine Rede sein, und das ist bei einem Angehörigen der heilenden Berufe dann doch etwas überraschend. Aber vielleicht ist es ja ein Vorurteil, dass ein Heiler Mitgefühl haben sollte mit all den Mühseligen und Beladenen, die da tagaus tagein vor seiner Türe Schlange stehen und geduldig warten, bis sie aufgerufen werden. Und wehe, es drängelt sich einer vor oder platzt einfach so ins Konsultationszimmer, dann setzt es was!
Nach kurzer historischer Verortung – am 13. November 1957 stirbt der zweite kommunistische Staatspräsident der Tschechoslowakei, Antonín Zápotocký – beginnt Agnieszka Hollands »Charlatan« mit dem frühmorgendlichen Gedränge vor Jan Mikolášeks Anwesen. Wer nicht selbst kommen kann, der schickt seinen Urin mit der Post – Mikolášek ist ein hoch gerühmter Urindiagnostiker und Heilkräuterspezialist –, allerdings kann es vorkommen, dass die staatlichen Organe selbigen konfiszieren. Denen nämlich ist das seltsame, an Hexenwerk gemahnende Treiben des Mannes ein Dorn im Auge; es passt nicht in die sozialistische Zukunftsgesellschaft. Mikolášek ficht das nicht an, er hat schließlich nicht nur diesen Zápotocký behandelt, sondern auch Minister und Funktionäre und Angehörige der High Society – und immer wieder musste er sich verantworten und seine Kompetenz beweisen; immer wieder wurde er verhaftet und drangsaliert und verhört und geschlagen. Ist es da ein Wunder, dass ihm die ideologische Verortung der jeweiligen politischen Machthaber egal geworden ist? Und hätte er die Behandlung von Martin Bormanns Nierensteinen etwa verweigern und sich hinrichten lassen sollen? Was wäre dann aus all den Kranken geworden, die seiner Hilfe bedurften?
Der Mann, dessen Biografie Holland sich zur Inspiration für ihren Film gewählt hat, war nicht nur ein schwieriger Charakter, er lebte auch in schwierigen Zeiten; die noch schwieriger wurden dadurch, dass Jan Mikolášek (1889–1973) seine Homosexualität nur heimlich leben konnte. Dass diese von den historischen Quellen meist verschwiegen wird, gibt Holland erzählerische Freiheit zur Gestaltung einer Liebesbeziehung ohne viel Aufhebens sowie die Gelegenheit zur melodramatischen Zuspitzung. Ivan Trojan in der Titelrolle wiederum verhindert auch nur den geringsten Hauch einer rührseligen Überspitzung. Er spielt den geplagten Mann mit einer Strenge und Ernsthaftigkeit, die deutlich macht, welch große Selbstdisziplin dessen Verhalten motiviert; und dass die Verantwortung für eine Gabe immer auch einhergeht mit dem Bewusstsein einer Bürde.
Bei den tschechischen Filmpreisen hat Hollands gemessen elegantes Porträt einer komplexen Persönlichkeit in komplizierten Zeiten mächtig abgeräumt und sich die Trophäen in den Kategorien Bester Film, Regie, Darsteller, Kamera und Ton geholt.
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