Kritik zu Captain Fantastic
Stick it to the Man! Viggo Mortensen spielt einen Vater, der seine sechs Kinder fernab der Zivilisation im Geiste kosmischer Ganzheitlichkeit und kapitalismuskritischer Reflexion erzogen hat. Eine Beerdigung bringt sie zurück in den American Way of Life – mit ungewissem Ausgang
Die Cashs sind ein ziemlich wilder Haufen: sechs ungebändigte, schöne, kluge, starke Kinder zwischen fünf und siebzehn, die einzigartige Namen tragen: Bodevan, Kielyr, Vespyr, Rellian, Zaja und Nai. Dazu Hippie-Vater Ben, der seine Weltverbesserungspläne nicht in Marihuana-Rauch aufgehen lässt, sondern in die Tat umsetzt. Gemeinsam mit seiner Frau Leslie hat er das halbe Dutzend Kinder in einem alternativen Idyll in den tiefen Wäldern an der Pazifikküste im Nordwesten der USA zu idealen und guten Menschen erzogen, hat sie zu reflektierenden und artikulierten Individuen gemacht. Und alles könnte schön sein, wäre da nicht der Tod.
Zu Beginn von Matt Ross' »Captain Fantastic« nämlich erhält Ben die Nachricht, dass seine Frau sich in dem Krankenhaus in der Stadt, in dem sie wegen ihrer Depression behandelt wurde, das Leben genommen hat. Der Verlust der Mutter aufgrund einer psychischen Störung – das deutet schon darauf hin, dass Ross, der hier sein eigenes Drehbuch verfilmt, keine weichgespülte Ökopropaganda im Sinn hat. Vielmehr stellt er den Cash'schen Lebensentwurf auf den Prüfstand.
Denn der Captain und seine Gang müssen die Roadmovie-Reise nach New Mexiko zum bösen Schwiegervater – von Frank Langella als eiserner Patriarch gegeben – antreten, um zu verhindern, dass die Verstorbene, deren letzter Wille Verbrennung verfügt, in der Heimaterde von Würmern gefressen wird. Unterwegs fällt die Familie auf wie ein Rudel bunter Hunde. Die Kinderschar beäugt befremdet den American Way of Life (und die vielen dicken Leute), der Älteste scheitert spektakulär am ersten Flirt, einer der Jüngeren beginnt nach »Normalität« zu rebellieren und will den »Noam-Chomsky-Day« durch ein stinknormales Weihnachtsfest ersetzt sehen.
Die Gegensätze sind also scharf und schmerzhaft und kulminieren während eines Besuchs bei Bens Schwester anhand der Frage, wer was unter »Nike« versteht. Während die Söhne der Schwester Turnschuhe assoziieren, denken Bens Sprösslinge an die griechische Siegesgöttin. Gegenseitige Verständnislosigkeit vereint für ein Mal die Vertreter von Popkultur und Hochkultur. Darüber hinaus aber sagt die Antwort auf die Frage auch etwas darüber aus, wie einer in der Welt steht. Ob er sich als seiner selbst bewusstes, politisch und sozial verantwortlich handelndes Menschenwesen auf Erden und im kosmischen Zusammenhang begreift. Oder ob er sich als den Verdummungsstrategien der Konzerne ausgelieferter Konsument zum Spielball jener Mächtigen machen lässt, deren Wahrnehmung eng begrenzt um schnöden Mammon kreist.
Soweit die plakativ anmutende ideologische Basis, auf der Ross im Laufe des Films eine ganze Reihe alles anderer als simpler Konflikte entstehen lässt. Die münden zwar auf schmerzlich komplizierten Lösungswegen schließlich erneut in eine etwas schlicht gedachte Öko-Utopie, in der dann halt beides möglich ist, letztlich also auch das richtige Leben im falschen. Freilich, damit lügt Ross sich und uns in die Tasche, doch wer könnte ihm verübeln, dass er seine ProtagonistInnen vor der Eingemeindung in den längst pervertierten American Dream retten will?
Denn was in »Captain Fantastic« eben auch deutlich wird, ist, dass eine Lebensweise wie die der Cashs – deren Parole das gute alte »Power to the People! Stick it to the Man!« ist – tatsächlich verrückt wirkt, versponnen, ja, durchgeknallt und bedrohlich. Darüber hinaus, dass ihre Existenzform gerade in den konformistischen USA Gefahr läuft, pathologisiert und kriminalisiert zu werden. Denn wenn der Großvater die Polizei anruft, bleibt Captain Cash, dem zu domestizierenden, suspekten Element, das dem Goldenen Kalb die Kinder abspenstig macht, nur noch der Rückzug. Viggo Mortensen ist in der Rolle dieses vorgeblichen Rattenfängers ziemlich nah bei sich selbst; es ist vor allem seiner aufrichtig forschenden Darstellung der zunehmenden Verunsicherung und wachsenden Gewissensnöte des plötzlich alleinerziehenden Vaters zu verdanken, dass die Schablonenhaftigkeit von »Captain Fantastic« letztlich nicht ins Gewicht fällt. Der Film und der Mann, sie haben beide das Herz am rechten Fleck.
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