Kritik zu Berlin Bouncer
Klingonen und andere Randexistenzen: In seiner Doku beschreibt David Dietl den Alltag dreier Türsteher-Legenden und nebenbei die Historie der Berliner Clubszene
Sie sind mittendrin und doch außen vor, Randfiguren mit zentraler Bedeutung. Es gebe kein Geheimrezept für ihre Arbeit, beteuern sie einhellig. Aber dann sagt doch einer, er male jeden Abend ein anderes Bild. Und meint damit die Zusammensetzung der Gäste im Club, dessen Eingang er die ganze Nacht bewacht – die Atmosphäre des Abends, die ganz besondere, im Idealfall einmalige Stimmung, die nur entsteht, wenn die »richtigen« Leute drin sind und die »falschen« draußen. Es ist die beste, eigentlich die einzige Definition für die Arbeit des Türstehers, die wir bekommen. So richtig erklären lässt sich der Zauber dieses Freestyle-Castings offenbar nicht.
Drei Berliner Türsteher – »Bouncer«, wie es auf Englisch heißt – porträtiert David Dietl in seinem Dokumentarfilm: den schillernden Sven Marquardt, ein wandelndes Kunstwerk aus Piercings und Tattoos, den die »Süddeutsche Zeitung« mal als »Klingonen vor dem Berghain« beschrieb; den bulligen Frank Künster, der lange Türsteher der King Size Bar war und sie später selbst leitete; und der umtriebige Ex-GI Smiley Baldwin, der den Akzent weniger auf Glamour legt als auf Verantwortung und Sicherheit. Jahrelang hat Dietl sie begleitet, ihr Vertrauen gewonnen, ihre gebrochenen Biografien durchleuchtet. Alle drei genießen inzwischen eine gewisse Prominenz, mit Wikipedia-Einträgen, Buchveröffentlichungen, eigenen Firmen. Dabei profitieren sie von dem Wechselspiel aus Nightlife-Bekanntheit und vielschichtigen anderen Talenten. Marquardt etwa ist längst ein renommierter Fotograf mit internationalem Standing.
»Berlin Bouncer« konzentriert sich zunächst auf den Schwellenhüter-Alltag – das Gedränge vor dem Einlass, die exzentrische Nachtschwärmer-Szene, die Rituale des Lebens als »Exzessbetreuer«, wie Künster seine Tätigkeit nennt. Schon bald aber wird deutlich, dass es über diese Arbeit im Grunde nicht viel zu erzählen gibt. Manche dürfen rein, andere nicht – das war’s im Grunde schon. Was drinnen passiert, ist eine andere Geschichte.
Also öffnet Dietl den Film in zwei weitere Richtungen. Die Erzählungen der Männer nutzt er für eine melancholische Rückschau auf die Historie der Berliner Clubszene seit dem Mauerfall, eine Zeit »jenseits von Recht und Gesetz«.
In diesen Passagen versucht sich der Film als Party-Pendant zur Musikdoku »B-Movie«, ohne allerdings deren furiosen Drive zu erreichen. Zum anderen dringt er immer tiefer in die Biografien der drei Türsteher ein, begleitet sie zum Klassentreffen in Hanau, beim Ostseetrip nach Warnemünde und sogar bis auf die Virgin Islands. Mehr und mehr überwiegt dabei ein elegischer Ton. Der Zahn der Zeit nagt nicht nur am Berliner Nachtleben, das zunehmend domestiziert und gentrifiziert wird.
Er hinterlässt auch Spuren bei seinen Helden, die auf ihre mittelalten Tage ziemlich einsam und ziellos wirken. Wenn er mal sterbe, mein Frank Künster, erwarte ihn sehr wahrscheinlich eine Zwischenhölle wie von Hieronymus Bosch. Und es klingt, als empfände er das als gerechte Strafe.
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