Kritik zu Am Ende der Milchstraße
Der Dokumentarfilm von Leopold Grün und Dirk Uhlig will mehr sein als ein Porträt skurriler Dorfbewohner in Mecklenburg-Vorpommern
Wovon lebt der Mensch? Eine Frage, die man ökonomisch und emotional beantworten kann. Der Dokumentarfilm von Leopold Grün und Dirk Uhlig, der einen Tick bemüht Am Ende der Milchstrasse heißt (bei seiner Premiere auf dem Dokumentarfilmfest in Leipzig war der Titel noch Randland), versucht beides. Porträtiert werden Bewohner eines Dorfs am Ende der Welt, es liegt: mitten in Mecklenburg-Vorpommern.
In der Sprache des politischen Berlins würde man wenig einfühlsam von »Abgehängten « sprechen, von übergewichtigen, ungesunden Menschen wie dem Bauern Maxe, die zu viel trinken und keine Perspektive haben, von unflexiblen Langzeitarbeitslosen wie seiner Freundin Cordula, die Neubrandenburg und Maxens Hof nicht gern gegen Baden-Württemberg eintauschen will. Man merkt Grün und Uhlig an, dass sie diese Perspektive entschieden nicht teilen.
Ökonomisch haben sich die Menschen aus Am Ende der Milchstrasse in ihrem Wenigen eingerichtet. Gabi, deren Mann das Ende der DDR nicht verwinden konnte und sich in den Tod getrunken hat, spricht über ihre erwachsenen Kinder (der Älteste ist gerade notgedrungen zurückgekehrt), wie sie über ihre Pferde sprechen könnte: »Die lassen wir ruhig draußen, die müssen ja nicht zu Hause wohnen. « Das ist keine fehlende Liebe, sondern der nüchterne Blick aufs Leben, der auf dem Land leichter fällt. Hier regieren die Zyklen; Wer einmal schlachten will, muss jeden Tag die Schweine füttern. Kinder werden volljährig, um auf eigenen Beinen zu stehen. Und Träume sind Flausen, wenn man eine Arbeit hat, die gemacht werden muss. »Wenn wir baden wollen, fahren wir zum See runter«, sagt Gabi.
Emotional bleibt der Film von Grün und Uhlig aber zwiespältig. Er findet trotz schöner Bilder (Börres Weiffenbach) und origineller Musik (Olivier Fröhlich & Jan Weber) nicht recht zu seiner Geschichte. Im Presseheft ist von »Selbstversorgung, Tauschwirtschaft und Nachbarschaftshilfe« die Rede, und man merkt dem Film vor allem durch den Elektroniker und Gesellschaftstheoretiker Harry an, dass Am Ende der Milchstrasse mehr sein könnte als eine Sammlung von Lebensgeschichten vom sogenannten Unten der Gesellschaft. Vielleicht hätte der Film so etwas wie den Stolz eines Unorts verhandeln können, eine Gemeinschaft von Leuten, die gar nicht dazugehören wollen, weil sie sich selbst genug sind, eine Art Verlängerung der DDR unter dem Profitstreben der Jetztzeit hinweg – kollektiv bewältigter Mangel.
Leider blitzen Fragmente dieser Geschichte nur manchmal auf. Wenn der zugezogene Harry mit dem ausdruckslosen Gesicht und dem Wohnmobil von gegenseitigen Hilfen erzählt oder der Melker Oli den Feierabend beschreibt, bei dem jeder mal Kneipe sei. Die Gemeinschaft, die Am Ende der Milchstrasse evozieren will, bleibt durch die verschieden scharfen Einzelporträts letztlich aber atomisiert. Wo von familiären Verwundungen erzählt wird, öffnen diese persönlichen Geschichten mitunter den Blick auf die Geschichte. Sie reduzieren den Film aber auch auf eine bäuerliche Full Metal Village-Skurrilität, die verdeckt, worum es eigentlich geht: Wovon der Mensch lebt.
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