Kritik zu 10 Fragen an den Dalai Lama
Just in dem Moment, in dem sich die bestürzten Blicke der Weltöffentlichkeit auf China und Tibet richten, kommt ein Dokumentarfilm in unsere Kinos, der ein Licht auf das geistliche und weltliche Oberhaupt der um Freiheit kämpfenden Tibeter wirft
Eigentlich war der amerikanische Reisejournalist Rick Ray ausgezogen, um einen Film über Indien zu machen, verlockt von der damit verbundenen Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem im nordindischen Dharamsala im Exil lebenden Dalai Lama. Als sich dann vor Ort allerdings herausstellte, dass für einen solchen Exklusivtermin keinerlei Vorkehrungen getroffen waren, entschloss er sich kurzerhand, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Nachdem er per E-Mail einen Termin erwirkt hatte, nutzte er die drei Monate Wartezeit bis zur 45-minütigen Privataudienz, um die Geschichte Tibets, die zentralen Fragen des Buddhismus und die Biografie des Dalai Lama zu recherchieren.
Ray begegnet seiner Heiligkeit nicht als überzeugter Jünger, sondern mit einer bisweilen naiv anmutenden Neugier, und der daraus entstandene Film ist im Grunde eine Art Tagebuch dieser behutsamen Annäherung. Archivbilder bezeugen die gewaltsame Unterdrückung Tibets durch China, und doch verströmt der Film in erster Linie die in sich ruhende Gelassenheit des Dalai Lama, seine unbedingte Entschlossenheit zu einer friedlichen Annäherung und die verschmitzte und entwaffnende Heiterkeit seiner Erscheinung. Dabei kommt die Persönlichkeit des 14. Dalai Lama in vielen Facetten zur Geltung, als weiser alter Philosoph und als kichernd vergnügter Junge, als hochverehrter Heiliger und als bescheidener Alltagsmensch, als göttlicher Herrscher und umjubelter Popstar.
Obwohl der Film merklich noch vor dem Ausbruch der aktuellen Unruhen entstanden ist, ahnt man auch, dass der Dalai Lama die gestellten Fragen auch heute nicht wesentlich anders beantworten würde, dass keine ungerechte Macht der Welt diesen Mann dazu bringen kann, seine Fassung zu verlieren: Warum die armen Bewohner Indiens so viel glücklicher wirken als die reichen Bewohner der westlichen Welt? Wie Tradition und Moderne abzuwägen sind? An welchem Punkt das buddhistische Credo des friedlichen Widerstands an seine Grenzen kommt? Nur wenn man selbst in Gefahr gerät, darf man sich wehren, denn wenn man stirbt, ist man nicht mehr in der Lage, sich für den Frieden einzusetzen.
An diesem Punkt hätte es durchaus eine Gelegenheit gegeben, noch einmal nachzuhaken. Der in sich ruhenden Erscheinung, dem konsequent unkämpferischen Auftreten und nicht zuletzt der Strahlkraft seines ansteckenden Lächelns können sich Filmemacher wohl ebenso wenig entziehen wie Buchautoren. Und doch steht am Ende des Films das bittere Gefühl des Scheiterns im Raum: Derzeit ist keine friedvolle Einigung in Sicht, viele jüngere tibetische Mönche sind zunehmend bereit, auch mit Gewalt für die Unabhängigkeit ihres Landes zu kämpfen, und was wird passieren, wenn der fast 73-jährige, ausgesprochen rüstig und agil wirkende Dalai Lama eines Tages stirbt? Wenn sein Nachfolger womöglich in China bestimmt wird, wo vorsorglich schon mal der junge Panchen Lama, der wesentlich an dieser Entscheidung beteiligt ist, entführt und gegen einen chinesischen Stellvertreter eingetauscht wurde.
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