Cannes: Eine Klasse für sich
Wie Ungleichheit im Korea von heute aussieht, bringt Regisseur Bong Joon-ho recht plakativ auf den Punkt: Die einen leben in engen Kellerwohnungen mit schlechtem Wlan und Ausblick auf eine Straßenecke, an der sich bevorzugt Betrunkene erleichtern. Die anderen residieren abgeschirmt von derlei Grobheiten in exquisit möblierten Villen und Panoramablick aufs eigene grüne Gartenparadies.
In seinem mit der Goldenen Palme ausgezeichneten Film »Parasite« erzählt Bong, wie die im Keller lebende Familie ihre Chance ergreift, sich im Leben der wohlhabenden einzunisten. Es beginnt damit, dass der Sohn der Tochter aus reichem Hause Nachhilfe gibt. Bald schon kann er die eigene Schwester unter falschem Namen als Kunst-Therapeutin für den anderen Nachwuchs einschleusen.
Die wiederum sorgt dafür, dass der Chauffeur durch den Vater ersetzt wird, der seinerseits eine Intrige einfädelt, um die Haushälterin durch die Mutter abzulösen. Als dann endlich die vormals Arbeitslosen und Armen vor dem Panoramafenster sitzen – ihre Arbeitgeber sind auf Campingurlaub –, und darüber streiten, ob Geld einen zum netten Menschen macht, beginnen die Dinge aus dem Ruder zu laufen.
Was »Parasite« aus dem diesjährigen Wettbewerbsprogramm herausragen ließ, war die gelungene Mischung aus Unterhaltsamkeit und Tiefgang. Bong Joon-hos Sozialsatire schreitet im flotten Tempo einer Screwball-Komödie voran, entblößt dabei aber reale gesellschaftliche Missstände. Mit Filmen wie »The Hostel« (2006), »Snowpiercer« (2013) und »Okja« (2017) hat Bong sich bereits als kommerziell erfolgreicher Regisseur einen Namen gemacht. Die Goldene Palme verleiht ihm nun verdientermaßen Autoren-Würde.
Publikum und Kritik in Cannes waren sich im Jubel über seinen Sieg so einig wie lange nicht mehr – Jury-Präsident Alejandro Iñárritu betonte, dass dies eine einstimmig getroffene Entscheidung war.
Zuvor hatte es bei der Preisverleihung einige Buhs gegeben. Sie waren nicht gegen bestimmte Preisträger gerichtet, sondern drückten Enttäuschung aus. Unter anderem darüber, dass die Jury einmal mehr die Chance verpasst hat, einer Frau die Goldene Palme zu geben.
Um endlich Jane Campion vom Status der einzigen weiblichen Gewinnerin einer Goldenen Palme (1993) zu befreien, hatte sich in diesem Jahr nämlich nach Meinung vieler eine Idealkandidatin gefunden: Céline Sciammas »Portrait d'une jeune fille en feu«. Der Film ist eine meisterhaft inszenierte Reflexion über weiblichen Blick und weibliche Identität im Gewand eines Historienfilms um eine Malerin des 18. Jahrhunderts und ihr Modell. Der Film war mit Begeisterung aufgenommen worden. Dass die Französin Sciamma nun mit dem Preis für das beste Drehbuch vorliebnehmen musste, kam da fast einer kleinen Demütigung gleich.
Die nicht wirklich dadurch ausgeglichen wurde, dass es mit ingesamt drei Auszeichnungen für »Frauenfilme« in diesem Jahr einen kleinen Preisregen für die stets in der Unzahl sich befindenden Regisseurinnen gab. Immerhin ging der Grand Prix, die Silbermedaille des Festivals, an das Regiedebüt der Französin Mati Diop, die als erste Frau mit afrikanischen Wurzeln im Wettbewerb Geschichte schrieb.
Ihr Film »Atlantiques« ist eine mutigen Mischung aus Horror, Poesie und Frauenfilm mit einer Prise Flüchtlingsdrama dabei. Und auch Jessica Hausners eher enttäuschender Sci-Fi-Thriller über eine glücklich machende Pflanze, »Little Joe«, wurde durch die Ehrung für Hauptdarstellerin Emily Beecham aufgewertet.
Alles andere als eine Enttäuschung stellte dagegen der Preis für den besten männlichen Darsteller dar, der an Antonio Banderas und seinen Auftritt in Pedro Almodóvars »Leid und Herrlichkeit« ging. Banderas verkörpert darin einen alternden Regisseur und somit das Alter Ego seines Entdeckers und langjährigen Freundes. Der spanische Kultregisseur Almodóvar hatte selbst als Favorit für die Goldene Palme gegolten, die seine erste gewesen wäre.
Dabei demonstrierte die Jury mit der Vergabe des Regiepreises an das Brüder-Regie-Duo Jean-Pierre und Luc Dardenne durchaus ein Herz für Altmeister. Und das, obwohl die Belgier sich in ihrem Film »Le jeune Ahmed« über einen sich radikalisierenden Jugendlichen längst nicht in Bestform präsentierten.
Leer ging – für einige völlig überraschend – Quentin Tarantinos »Once Upon a Time in Hollywood« aus. Der Film, auf den alle gewartet hatten und dessen Premiere das Festival an der Cote d'Azur für zwei Tage in eine Art Ausnahmezustand versetzt hatte, war zwar sehr gut aufgenommen worden, verpuffte aber mit seinem nostalgischen Überhang in einem Festival, das sich als Ganzes oft allzu »retro« gibt.
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