Retrospektive: »Cynara« (1932)
Ehebruch. Auch in »Street Scene« hat King Vidor das Thema behandelt; in »Cynara« geht er es frontal an. Der Film ist eine lange Rückblende, eine nachträgliche Beichte des Ehemanns bei seiner Ehefrau, kurz, bevor er das Schiff nach Südafrika besteigt, kurz vor dem endgültigen Nimmerwiedersehen.
James Warlock ist Staranwalt in London, und er rutscht einfach so hinein in die Affäre. Seine Frau reist mit der allzu leichtlebigen Schwester für vier Wochen nach Venedig, diese soll dort einem unangemessenen Techtelmechtel entrissen werden. Das sei die Gelegenheit, all das zu tun, was ein Ehemann tut, wenn die Ehefrau verreist, meint Clemency, die Frau; der ältere Freund, Kollege und Mentor John rät zu mehr Vielfalt und Abwechslung im Leben. Und abends, im Restaurant, trifft Warlock auf Doris. Die ist jung, und sie fragt ihn, ob er verheiratet ist, und dass er es ist, macht ihn gleich nochmal interessanter. Ob seine Ehefrau ihn auch nicht verstehe, so wie bei ihrem Verflossenen? Oh, meint er, sie versteht ihn, er ist recht simpel. Dann sitzen sie da und wissen nichts zu reden. Unangenehmes Schweigen. Kein »common ground«, wie Warlock sagt. Und sein Freund: Eine solch gute Figur wie bei Doris reicht doch als »common ground«. Warlock zerreißt deren Adresse und wirft die Schnipsel zum Autofenster hinaus, Überblendung zu den venezianischen Tauben, Zeit vergeht, und Warlock sieht Doris wieder, als Juror bei einem Badeanzug- und Wassersportwettkampf. Das besiegelt sein Schicksal. Doris ist sehr geradeheraus, sie weiß, dass sie ihn will, und die junge Liebe auf Zeit ist wunderbar – inklusive Kahnfahrt unter Weiden, so wie das Liebespaar in »Bardelys the Magnificent«, in dem Vidor diesem Urbild der filmischen Romanze seine gültige Gestalt gegeben hat.
Ehebruch: Ein, zwei Jahre später hätte dieser US-Film, auch wenn er in England spielt, wohl nicht mehr gedreht werden können. Vidor betrachtet seine Figuren, ohne zu urteilen, ohne moralischen Vorbehalt – anders als ein Richter im Film, der bedauert, dass Warlocks Verhalten kriminell nicht fassbar ist.
Was passiert, passiert, und die Frage, wer sich wann wie anders hätte verhalten sollen, bleibt bewusst offen. »Cynara« ist ein berührendes Drama, immer wieder mit Witz gewürzt, menschlich verständlich, psychologisch genau. Und insbesondere nicht auf den männlichen Standpunkt eingeschränkt: Die Frauenfiguren sind eigenständig und stark, und genauso hätte der Film auch mit umgekehrten Rollen erzählt werden können.
Der Vorspann verrät, was es mit dem Titel »Cynara« auf sich hat: Er entstammt einem Zitat von Ernest Bowman, »I have been faithful to thee, Cynara, in my own fashion.«
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