Schwache Männer
Es gibt so manchen Menschenschlag, dem man auf der Leinwand lieber begegnet als im Leben. Es ist zweifellos behaglicher, sich beispielsweise mit Truffauts Kinofigur Adèle Hugo auseinanderzusetzen, als in der Realität mit solch heftiger Liebesbesessenheit konfrontiert zu werden.
Allerdings kann auch das Gegenteil eintreten. Im Kino, zumal in einem Berlinale-Wettbewerb ist es in der Regel weit weniger erfreulich als im Alltag, starken Frauen zu begegnen. Meist sind sie eine Drehbuchbehauptung, die gelegentlich von großartigen Darstellerinnen doch zu filmischem Leben erweckt wird. Gleichviel, sie sind eines der Leitmotive, die Dieter Kosslick auch für dieses Jahr in Aussicht gestellt hat, wohlgemerkt mit der Besonderheit, sie in dramatischen Geschichten erleben zu dürfen. Damit mag er zwar auch die Kulturministerin und die Leiterin der Filmförderung Berlin-Brandenburg gemeint haben. Tatsächlich hatten wir in den ersten zwei, drei Wettbewerbstagen schon reichlich Gelegenheit, solcher Figuren inne zu werden. Im Eröffnungsfilm habe ich gleich zwei gezählt, kann mich aber irren. In Jafar Panahis Taxi steigen auch einige, von denen mir die Nichte des chauffierenden Filmemachers, eine aufgeweckte und liebenswürdige Tyrannin, besonders im Gedächtnis bleiben wird.
Bei Werner Herzog hatte ich in der Eröffnungsszene noch Zweifel, ob mit der Queen of the Desert nicht Robert Pattinsons T.E. Lawrence gemeint sei, die in der Folge glücklicherweise von Nicole Kidman souverän ausgeräumt wurden. Es hilft natürlich gewaltig, wenn man ihre vorherige Rolle als monegassische Fürstin im Hinterkopf behält. Monarchien sind nicht notwendig Meritokratien, sondern eine Frage der entsprechenden Ausstrahlung. Denn viel mehr als furchtlos aufzutreten, muss diese Gertrude Bell ja nicht tun, um sich die ehrfürchtige Gastfreundschaft diverser Scheichs zu verdienen. Der Film schafft es überdies, die Regentschaft von Queen Victoria um ein Jahr über ihren Tod hinaus zu verlängern, der hier noch 1902 ein Toast ausgesprochen wird.
In 45 Years wiederum ist der Fall klar. Und Charlotte Rampling wird um so besser, je mehr ihr Tom Courtenay im Verlauf des Films entgegen zu setzen hat. Beim guatemaltekischen Beitrag Ixcanul war ich zunächst unentschieden, ob da wirklich die Tochter das Rollenfach erfüllen soll. Eher tendiere ich mittlerweile zu ihrer Mutter, die eine erstaunliche Entwicklung durchmacht. Ihre Tochter ist eigentlich einem Vorarbeiter zur Heirat versprochen, ein für alle Seiten ersprießliches Arrangement. Als diese dann von einem Tagelöhner schwanger wird, begreift die Mutter dies nicht als ökonomisches und sittliches Unglück, sondern als ein Geschenk des Lebens.
Léa Seydoux hat mich in Benoit Jacquots Verfilmung von Tagebuch einer Kammerzofe noch nicht vollends davon überzeugt, sie sei einer der rätselhaftesten Figuren der französischen Literatur- und Filmgeschichte ebenso gewachsen wie zuvor Paulette Goddard bei Renoir und Jeanne Moreau bei Bunuel. In Sebastians Schippers Victoria kündigt aber immerhin schon der Titel an, wer aus dem Realzeit-Schlamassel mit heiler Haut hervorgehen würde. Für eine Zwischenbilanz ist es in unseren schnelllebigen Zeiten ja nie zu früh. Über ein paar starke Männer würde ich mich demnächst aber auch mal freuen, im Wettbewerb wie im Leben.
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