Komödiantische Entfesselung

Ein namhafter, in Österreich ziemlich berühmter Mineralwasserhersteller bewirbt eines seiner Produkte mit dem hübschen Adjektiv "frivolisiert". Auch wenn damit keine unbotmäßige Lockerung der Sitten gemeint ist, klingt es doch erheblich animierender als das französische "gazeuse"; von unserem "mit Kohlensäure" mal ganz zu schweigen. Prickelnd hätte es natürlich auch getan. Aber in diesem Eintrag soll es um eine Weltläufigkeit gehen, die vorzugsweise an den Ufern der Donau heimisch ist.

Derzeit nämlich widmet das Filmarchiv Austria dem Drehbuchautor und gelegentlichen Regisseur Walter Reisch eine Retrospektive, deren Titel die Stationen seiner Karriere bennent: Wien-Berlin-Hollywood. Der Szenarist begann in der Stummfilmära und begrüßte das Aufkommen des Tonfilms klangvoll und erfinderisch. »FP1 antwortet nicht« und »Der blonde Traum« gehören zu den bekanntesten Titeln dieser Zeit, und »Der Raub der Mona Lisa« geschah in seiner Version aus Patriotismus und Liebe. Zusammen mit Willi Forst, für den er »Maskerade« und die Schubert-Biografie »Leise flehen meine Lieder« schrieb, gehörte er in den 30ern zu den prägenden Protagonisten des "Wiener Films". Das kosmopolitische Ausgreifen seiner Karriere ist indes nicht allein dem freien Willen des Autors geschuldet, der Österreich vor dem Anschluss verließ. In Hollywood fasste er schnell Fuß, als Co-Autor von »Der große Walzer«, »Ninotschka« und »Gaslight« (Das Haus der Lady Alquist). Zu seinen größten Erfolgen zählten sodann »Niagara«, »Der Untergang der Titanic« sowie »Die Reise zum Mittelpunkt der Erde«. Und zwischendrin inszenierte der Exilant einen der großen, bezeichnend unsichtbaren Filme der Re-Emigration: »Der Cornet« nach Rilke.

Dieser Eintrag entsteht kurzfristig, ich muss improvisieren – die Pressemitteilung kam heute, obwohl die Retro bereits gestern begann, zudem bin ich auf dem Lande ohne Zugriff auf die Filme -, weshalb ich Ihnen keine ausgefeilte Stilanalyse seines Werks liefern kann. Vielleicht finde ich später Gelegenheit, eine eigene, unverwechselbare Handschrift von Reisch herauszuarbeiten. Eventuell gibt es sie ja auch gar nicht. Die Zwillingsfilme »Ninotschka« und »Comrade X« könnten da ein Prüfstein sein. Lassen wir ihn also vorerst ein wenig in der Schwebe - er war auch ein atmosphärisches Talent das sich zurechtfand in fremden Gefilden.

Für »Maskerade« erhielt er 1934 einen Drehbuchpreis in Venedig, für »Titanic« 1954 einen Oscar. In Wien ist man sich der Bedeutung seines Beitrags zu Filmgeschichte bewusst: Günther Krenn verfasste fürs Filmarchiv bereits vor 21 Jahren die Monografie "Walter Reisch: Film schreiben". Dieser Titel scheint mir ein wenig kohlensäurehaft angesichts dieser frivolisierten Schaffenskraft. Auf Reisch' Konto gehen immerhin so muntere Filmtitel wie »Seine Hoheit, der Eintänzer«/aka »Das entfesselte Wien«, »Die Nacht gehört uns« oder »Der Herr auf Bestellung«. (Einer meiner Favoriten in seiner Filmografie ist indes dem erfinderischen deutschen Verleiher zu verdanken: »SOS-Zwei Schwiegermütter«)

Auf jeden Fall war er ein Genie der Partnerschaft. Er schrieb Drehbücher mit Billy Wilder und später vor allem mit dessen früherem Co-Autor Charles Brackett. Reisch konnte unterschiedliche Register ziehen. »That Hamilton Woman« (Lord Nelsons letzte Liebe) habe ich als stattliches Melo in Erinnerung, »Titanic« ist ein dichter, konzentrierter Katastrophenfilm, der vor allem die Geschichte einer unglücklichen Ehe erzählt. »Die Reise zum Mittelpunkt der Erde« mit James Mason und Arlene Dahl wiederum ist eine der schönsten Jules-Verne-Adaptionen, und nach wie vor eine unglaubliche gute Samstagabendunterhaltung, wie ich jüngst bestätigt fand. Ganz offensichtlich konnte Reisch den Genres geben, was sie brauchten. Auch »Niagara« altert nicht schlecht. Seine Domäne jedoch, der Grundbestand seines Kinos, ist die Komödie. Bei ihm hat selbst die Science-Fiction immensen Witz– man denke nur an Peter Lorre in »FP1 antwortet nicht« oder die Screwball Comedy, die Dahl & Mason unter Tage aufführen.

Ernst Lubitsch, mit dem er häufig arbeitete, schätzte »Maskerade« und Reisch' erste Regiearbeit »Episode« hoch. Sie wurden engste Freunde. Im Filmarchiv Austria ist bis zum 4. März ein leichtfüßiges, widerständiges Werk zu entdecken: Reisch' anmutige frühe Komödien verkörpern, was durch die Emigration jüdischer Filmkünstler gänzlich verbannt schien: ein Gespür dafür, wie nah Melancholie und Witz beieinander liegen. Frivolität und Leichtsinn mögen auf den ersten Blick herrschen, aber sie haben einen doppelten Boden.

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