J. Paul Getty hätte es verstanden
Bis vor ein paar Tagen sagte mir der Name Carrie Gracie nichts. Das ist vielleicht ein lässliches Versäumnis, denn in den Medien sollte es letztlich mehr auf die Nachricht ankommen als auf ihren Überbringer. Nun allerdings ist Carrie Gracie selbst zu einer Aufsehen erregenden und bezeichnenden Nachricht geworden.
30 Jahre lang hat sie bei der BBC gearbeitet, zuletzt als China-Korrespondentin. Ihre Reportagen genossen hohes Ansehen unter Kollegen und Zuhörern bzw. Zuschauern. Nun hat sie gekündigt und damit ein bedeutsames Zeichen gesetzt gegen das Gefälle, das beim Sender zwischen den Gagen der männlichen und weiblichen Mitarbeiter existiert. Im letzten Sommer war bereits ein heftiger Streit um diese Ungerechtigkeit entbrannt. Einer von der BBC selbst in Auftrag gegebenen Studie zufolge waren die sieben Top-Verdiener männlich und betrug der Anteil weiblicher Spitzenverdiener nur 30 Prozent. Die durchschnittliche Differenz beträgt 9 Prozent, was weit unter dem Landesdurchschnitt liegt, aber dennoch verdrießlich ist. Für Ken Loach, der den Sender aufs Blut hasst (wenngleich aus anderen Gründen) wird diese Nachricht ein gefundenes Fressen sein. Erfahren habe ich von der Konsequenz, die Gracie nun gezogen hat, übrigens aus einer Nachrichtensendung der BBC selbst. Das schien mir ein erfreuliches Bemühen um Transparenz zu sein – bis ich las, dass der Moderator gefeuert wurde, der mir und der Welt diese Nachricht überbrachte.
Gestern wurde erfuhr die interessierte Öffentlichkeit von einem pay gap, das noch weit spektakulärer und empörender ist. Für den Nachdreh zu »All the money in the World«, den Ridley Scott und seine Produzenten nach dem Skandal um Kevin Spacey für unabdingbar hielten, soll Mark Wahlberg anderthalb Millionen Dollar eingestrichen haben, während sein Co-Star Michelle Williams nur das Gewerkschaftsminimum verlangte, das sich bei Drehende auf rund 1000 Dollar summierte. Bislang behauptete Scott stets, seine Darsteller seien sofort und bedingungslos bereit gewesen, auf diese Weise den anstößigen Spacey aus dem Film zu tilgen. Dessen Palimpsest Christopher Plummer darf sich inzwischen Oscar-Chancen ausrechnen. Die selbstlose Bereitschaft der Hauptdarsteller hätte gut zum Pathos der Reinwaschung gepasst, mit dem die Produktion eine unerfreuliche Presse vermeiden wollte. Die Bewunderung für das Tempo war groß, mit der Scott dieses Hasardspiel bewältigte. Seine Professionalität ließ sich als Indiz einer hohen Moral feiern. Ich teile diese Einschätzung nicht ganz, mir erscheint das eher als ein puritanischer Ablasshandel. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn Plummer tatsächlich besser wäre. Meine Phantasie reicht durchaus so weit, mir das vorzustellen. Angeblich war er ja ohnehin Scotts erste Wahl. Und wahrscheinlich verbittet sich die Pietätlosigkeit, die Spacey-Version später als Bonus DVD und Blu-ray hinzuzufügen. Obwohl, wer weiß? Dafür gäbe es bestimmt einen Markt.
Williams und Wahlberg werden übrigens von derselben Agentur vertreten. Die Frage, ob sie nicht auch so viel hätte verlangen können, erscheint im Moment allerdings frivol. Hier herrscht ohnehin eine doppelte Buchführung. Obwohl kein ursächlicher Zusammenhang zwischen Scotts rigoroser Entscheidung und Wahlbergs vermeintlich geschicktem Geschacher besteht, ist der symbolische unverkennbar. Mir ist ohnehin unerklärlich, weshalb Wahlberg der bestbezahlte Hollywoodstar des vergangenen Jahres war – rechtfertigt eine schlechte »Transformer«-Episode tatsächlich solche Unsummen? Aber gerade deshalb hätte er doch auch mal bescheiden sein können, schon um der Moral willen? Die Meldung schlägt zwar hohe Wellen, aber auf Reaktionen von Scott und den Darstellern wartet man bislang vergeblich. Ich bin sicher, die PR-Agenten arbeiten eifrig daran. Aber manche Wahrheiten entziehen sich auch ihrem Raffinement.
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