Who wants to be tall?

Leider habe ich mich von seinem Enthusiasmus nie wirklich anstecken lassen. Falls jemanden daran eine Schuld trifft, dann gewiss nicht ihn. Mickey Rooney hat sich Zeit seiner Karriere mächtig ins Zeug gelegt. Von Kindesbeinen an hat er dem Publikum gegeben, was es wollte. Das ist im Wortsinne zu verstehen: Mit 17 Monaten trat er zum ersten Mal auf der Bühne auf, mit sechs Jahren stand er zum ersten Mal vor einer Filmkamera. Mithin war er bis zu seinem Tod am vergangenen Sonntag der letzte Filmstar, dessen Karriere noch in der Stummfilmära begann. Dieses Energiebündel absolvierte ein enormes Pensum. Die IMDB führt weit über 300 Titeln von Kino- und Fernsehfilmen auf, in denen er mitspielte. Die Dreharbeiten seines letzten Films liegen erst wenige Wochen zurück.

Heute fällt es schwer, sich das vorzustellen, aber Ende der 1930er, Anfang der 1940er Jahre war er der größte Kassenmagnet Hollywoods. Rooney war ein quecksilbriges Leinwandtemperament. Warum nur hat mich seine kecke Unternehmungslust nie richtig berührt? Womöglich hat mich der frenetische Zug seines Optimismus‘ immer ein wenig geniert. Als Richterssohn Andy Hardy war er ein Ausbund gesündester amerikanischer Impulse. Es fiel ihm schwer, der Rolle des Kinderstars zu entwachsen. Das ist schwer, wenn man 157 Zentimeter misst. Anders als Shirley Temple, die rechtzeitig eine Laufbahn in Politik und Diplomatie einschlug (es darüber aber nie vergaß, wie ein amerikanischer Freund einmal sagte, die Verantwortung dafür zu tragen, Shirley Temple zu sein), blieb ihm wohl keine Wahl. Es war für ihn unvorstellbar, nicht mehr Teil des Showbusiness zu sein.

Interessanter wurden seine Rollen für mich erst, als er nicht mehr fresh faced sein konnte, als sich die Unkompliziertheit nicht mehr ohne weiteres herstellen ließ. Er musste sich von der bukolischen Americana und der Munterkeit der Musicals verabschieden. Im Film noir fand er zwischenzeitlich ein Terrain. In Auf gefährlicher Straße  von Richard Quine und als Baby Face Nelson unter der Regie von Don Siegel war er großartig, denn da konnte er die neurotischen Seiten ausleben, die ihm frühere Rollen versagten. Schon seine Körpergröße machte ihn verletzbar, zu einem allzu leichten Opfer der Träume von Erfolg und erotischer Anerkennung. Er ließ den Zuschauer nachvollziehen, wie seine Figuren Kränkungen mit Gewalt kompensierten. Sein Auftritt als nörgelnder japanischer Nachbar von Audrey Hepburn in Frühstück bei Tiffany allerdings gehört zu den Dingen, die man Blake Edwards nicht verzeihen muss; schon das Maskenbild erfüllt den Tatbestand des Rassismus. Auch im Alter war eine hysterische Kindlichkeit nicht aus seinen Zügen zu tilgen. Das geniert mich auch. Zuletzt trat er mit den Muppets und in Nachts im Museum auf. Er blieb der familientauglichen Unterhaltung treu. Gern behauptete er, Walt Disney habe sich von seinem Vornamen inspirieren lassen, als er die berühmte Maus erfand.   

Im Privatleben muss er ein Wüstling gewesen sein, was MGM in ziemliche Verlegenheit brachte. Die erste seiner acht Ehen schloss er mit Ava Gardner, der begehrenswertesten aller Hollywood-Diven. Er war zwischenzeitlich hochverschuldet, wurde Alkoholiker und erfuhr seine Läuterung, auch darin ein guter Amerikaner, in dem er zur Religion fand. Während die amerikanischen Nachrufe erwartungsgemäß pietätvoll ausfielen, zeigte die britische Presse da geringere Beißhemmung. Ein Artikel im „Telegraph“ ist gar „Mickey Rooney‘s amazing sex life“ gewidmet. Wohl wird mir bei solch retrospektiver Sensationsgier nicht. Denn es geht ja nicht nur um die Frage, wie ein derart kleinwüchsiger Mann es bloß schaffte, so viele tolle Frauen zu erobern. Sondern im Kern darum, ob so einer überhaupt ein Anrecht darauf hatte. Ich hingegen finde es erst einmal liebenswürdig, dass es ihm gelang, die erotischen Marktgesetze aus den Angeln zu heben. Das tat er offenbar mit entwaffnender Selbstironie, wie seiner Autobiographie zu entnehmen ist. Wenn Sie auf youtube einmal die Stichworte Rooney und Mansfield eingeben, werden sie auf ein Glanzstück seiner komödiantischen Geistesgegenwart stoßen. Es ist ein Ausschnitt aus einer Golden-Globe-Verleihung, bei der Rooney für den mexikanischen Komiker Cantinflas einen Preis aus Jayne Mansfields Händen entgegennimmt. Er ist auf Augenhöhe mit ihrem Dekolleté. Beide haben sichtlichen Spaß an der Anzüglichkeit der Situation; wunderbar auch, wie sie ihre Verlegenheit spielen. Dann lässt sich Rooney von der prächtigen Aussicht zu einem der witzigsten Sätze hinreißen, die je auf einer Preisverleihung in Hollywood fielen und dem dieser Blogeintrag seine Überschrift verdankt. Er wusste ganz genau, was er dem Publikum schuldig war.   

 

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