Sky: »Ich und die Anderen«
»Ich und die Anderen« (Miniserie, 2021). © Sky Deutschland/Superfilm
Kino und Fernsehen als Wunschmaschine: Die Chance und den Fluch, immer wieder neu anzufangen, aus den Fehlern zu lernen, neu zu justieren, gibt es so drastisch nur in filmischen Fantasien. Das Leben als Versuchslabor, doch Vorsicht! Wehe, die Wünsche gehen in Erfüllung: »Ich will, dass es um mich geht!«, wünscht sich Werbemann Tristan in der ersten Folge der sechsteiligen Miniserie »Ich und die Anderen«. »Ich will, dass ihr ich seid, dass ihr alles über mich wisst.« Was hat er sich nur dabei gedacht? Morgens auf der Straße, im Coffeeshop, im Büro, drehen sich alle Köpfe wissend in seine Richtung, die Bettler wissen, dass er lügt, wenn er behauptet, kein Kleingeld zu haben und auch die Kunden in der Werbeagentur wissen, was er wirklich von ihnen, ihrem neuesten Produkt und der Kampagne hält. Was für ein Alptraum, schlimmer als der Alltag berühmter Stars. Tom Schilling, der diesen mal nassforschen, mal zaudernden Jedermann in einer schönen Mischung aus Belustigung, Verwunderung und Panik spielt, wird das als Schauspieler kennen, wenn auch nicht so extrem.
Noch schlimmere Folgen hat Tristans Wahl am zweiten Tag: Alle sollen ehrlich sein, immer die Wahrheit sagen. Rückhaltlose Offenheit mündet am Ende des Tages im mörderisch destruktiven Bürgerkriegschaos, denn entwaffnende Ehrlichkeit kann sehr verletzend sein. Glücklicherweise lässt sich mit jedem neuen Wunschtag der vorangegangene aus der Erinnerung löschen. Aber auch der dritte Tag hat seine Tücken: »Ich will, dass ihr mich alle liebt.« Am Morgen lässt es sich ja noch ganz gut an, Tristan erwacht zu dem Song »You Are The Sunshine of My Life« in einer pastellig weichgespülten Musicalwelt in Rosa, Hellgelb und Babyblau, nicht nur seine Freundin, auch alle Nachbarn stimmen in die Liebeshymne ein, die ganze Welt ist mit Herzchenluftballons dekoriert. Man spürt den unbändigen Spaß, den Kostümbildner, Ausstatter und Special-Effects-Tüftler bei der fantasievollen Kreation der Wunsch- und Alptraumwelten hatten. Und erst recht der Autor bei der Zusammenstellung der rasanten Screwball-Dialoge, die in knackig zwischen Küchenpsychologie und Kalenderspruchphilosophie jonglieren, immer zugleich scharfsinnig und selbstironisch. Und grandiose Schauspieler wie Sophie Rois (mit silberweißen Haaren) und Martin Wuttke als kapriziös erotomane Künstlereltern, Katharina Schüttler als schwangere Lebensgefährtin, Mavie Hörbiger als fordernde Ex-Freundin und Lars Eidinger als schnöselig-selbstgefälliger Werbefirmenboss ziehen lustvoll vom Leder: »Ich kann Sie gar nicht lieben«, sagt er zu Tristan, »ich habe gar keine Zeit. Liebe ist etwas für Arbeitslose!«
»Ich und die Anderen« ist der Coup des Österreichers David Schalko, der schon in den Miniserien »Aufschneider« oder »Braunschlag« ein subversives Spiel mit menschlichen Unzulänglichkeiten anzettelte. Sein neues Werk ist Gesellschaftssatire und Zeitgeistfarce, ein wilder Trip durch die Extreme der Identitäts- und Sinnsuche, zwischen Selbstverwirklichung, Selbstoptimierung und Selbstinszenierung. Nur gegen Ende, wenn sie immer freier dreht, geht ihr ein wenig die Luft aus.
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