Bücher-Tipp zum 70. Jubiläum des Kriegsendes
© Auschwitz-Birkenau, State Museum Archives / courtesy Schirmer/Mosel
In diesem Jahr ist das Kriegsende 1945 ein großes Medienthema. Zwei Bücher sind mir besonders aufgefallen, der Bildband »1945 – Ikonen eines Jahres« und Alexander Kluges Buch über den 30. April 1945. Ich lese sie als Kritiker, aber auch als Zeitzeuge, wenn man ein Kind so nennen will. Ich habe als Achtjähriger das Jahr 1945 sehr intensiv erlebt, besonders den 27. April, an dem die Amerikaner meine Heimatstadt Regensburg ohne Kampf eingenommen haben.
Ein Essay des Historikers Norbert Frei stellt die Momentaufnahmen in den politisch-historischen Zusammenhang. Laut Frei ging es den Alliierten nicht darum, die Deutschen zu befreien, sondern die »Pest des Nationalsozialismus« niederzuringen. Allerdings zeigte sich schon bald der beginnende Ost-West-Konflikt. Während der Westen »das unverdiente Glück der ›zweiten Chance‹« bekam, wartete auf den Osten das DDR-Regime.
Kluge deutet das schon im Titel an, wo es heißt, an diesem Tag begann die Westbindung der Deutschen. Der Regisseur und Schriftsteller versammelt auf 300 Seiten etwa 200 Geschichten, die um das Datum kreisen, merkwürdige, traurige, absurde Geschichten, meist wahre, aber auch erfundene. Kluge erzählt in seinem wunderbar leichten Tonfall, der sich an den Verstand wendet, aber auch die Emotion anspricht. Nazis träumen noch immer vom »Vierten Reich«. Wissenschaftler arbeiten noch 1945 an Forschungen für die 1952 zu erwartende deutsche Weltherrschaft. Umso stärker die banale Realität, etwa in dem Foto »Fensterpappen als Glasersatz«.
Viele Geschichten spielen in Berlin, andere in Halberstadt, wo Kluge 1932 geboren wurde. Aber er springt auch in die USA, beobachtet die Gründung der UNO in San Francisco und den in Oakland scheiternden Versuch, eine weltweite Arbeiterorganisation zu gründen: Die Delegierten sind zerstritten.
Am Morgen des 27. April war der Arnulfsplatz, wo wir wohnten, völlig menschenleer. Plötzlich ein Jeep, bald noch einer, schließlich ein Lastwagen mit vielen GIs. Die Amerikaner nahmen die Stadt in Besitz. Im Fotoband findet man Aufnahmen von Robert Capa aus Leipzig: Schusswechsel zwischen amerikanischen Soldaten und deutschen Heckenschützen. Nichts davon in der bayerischen Provinzstadt.
Die US-Militärverwaltung führte kein hartes Regiment. Nach Regensburg waren die Amerikaner eher als Befreier gekommen, was laut Norbert Frei nicht ihr Kriegsziel war. Wir Kinder jedenfalls freundeten uns schnell mit ihnen an, sie schenkten uns Hershey-Schokolade und Kaugummi. Marianne Rosenbaum hat das vierzig Jahre später in ihrem Film »Peppermint Frieden« mit Peter Fonda als Mr. Freedom sehr schön dargestellt. Aber der Frieden stand auf wackligen Beinen: Jetzt geht es mit den Amerikanern gegen die Russen, sagten wir Kinder. Woher hatten wir das? Von den Erwachsenen.
Bestellmöglichkeit: Lothar Schirmer (Hg.): 1945 – Ikonen eines Jahres. Text von Norbert Frei. Schirmer/Mosel, München 2015, 216 S., 108 Abb. 34 €.
Bestellmöglichkeit: Alexander Kluge: 30. April 1945. Der Tag, an dem Hitler sich erschoss und die Westbindung der Deutschen begann. Suhrkamp, Berlin 2014, 316 S., 24,95 €. 2015 als Taschenbuch 12 €.
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