Kritik zu Ich fühl mich Disco

© Salzgeber

Überschwänglich: Axel Ranisch lässt auf seinen erfolgreichen »Dicke Mädchen« einen Film über Coming-of-Age und Coming-out folgen – voll mit einprägsamen Songs des Sängers Christian Steiffen

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Kennen Sie Christian Steiffen? Nein? Steiffen ist ein Lokalmatador aus Osnabrück. Steiffen – allein der Name, ein Schelm wer da Assoziationen hat – spielt zwar nicht die Hauptrolle in Ich fühl mich Disco, aber er ist immer zur Stelle, wenn die Handlung vorangetrieben wird, denn seine Songs sind nie um einen Kommentar verlegen. Als Schlagersänger in lila Rüschenhemd und weißem Anzug ist er der Star des dicken Florian und dessen Mutter, die sich beide regelmäßig in ähnliches Outfit schmeißen, um nach seinen Liedern unter eigener Discokugel zu rocken: "Jetzt sehn ich mich so sehr nach Sexualverkehr schananana – ich will nur Sexualverkehr." Der Vater, ein wirklich dicker Schwimmlehrer (genial: Heiko Pinkowski), steht dieser engen Mutter-Sohn-Beziehung skeptisch gegenüber.
 
 
Regisseur Axel Ranisch benötigt zu Beginn des Films nur zwei Szenen, um die Familienkonstellation charakteristisch auf den Punkt zu bringen. Wenn wir den Vater auf dem Moped sehen, der seinem Sohn das Fah­ren beibringen will und dieser klagt: "Kann ich nicht doch lieber ein Klavier haben?", wissen wir um deren Verhältnis Bescheid. Als die Mutter einen schweren Schlaganfall erleidet, stehen sich Vater und Sohn hilflos gegenüber und müssen nun einen Weg finden, gemeinsam die Leere zu füllen, die Mutter hinterlässt, seit sie im Koma liegt. "Das Leben ist nicht immer nur Pommes und Disco. Manchmal ist das Leben nur eine Flasche Bier."
 
Ranisch hatte schon mit Dicke Mädchen 2011 einen echten Knaller inszeniert. Nun hat er abermals mit leichter Feder einen Film über die schwierige Zeit eines Jugendlichen gedreht, der sich über seine sexuelle Orientierung klar wird. Zum Schwimmschüler seines Vaters fühlt Flori sich ganz besonders hingezogen. Papa Hanno will nun alles richtig machen, nachdem er ausgerechnet von Steiffen den entscheidenden Hinweis auf Floris Coming-out erhält. Flori rettet sich regelmäßig zur Mutter ans Krankenbett und in seinen Fantasien wird sie immer wieder wach, um ihm in schwierigen Momenten eine Stütze zu sein. Hanno sitzt derweil auf dem Sofa und erhält Safer-Sex-Unterricht von Rosa von Praunheim, bei dem Ranisch übrigens an der HFF Potsdam studiert hat. "Ich hab die ganze Nacht von mir geträumt, ein Traum so wunderbar und reich und als ich sachte dann erwachte und im Spiegel mich betrachtete, da dachte ich, das kann nur Liebe sein."
 
 
Ranisch ist ein Besessener, er hatte nicht nur mit diesem Film, sondern auch mit dem Kinderfilm Reuber Weltpremiere auf dem Münchner Filmfest, während zeitgleich bei den Opernfestspielen zwei Inszenierungen von ihm zu sehen waren. Er arbeitet gern mit demselben Team zusammen, eine kreative Truppe, deren Mitgliedern man anmerkt, wie viel Spaß sie miteinander haben. So ist auch Ich fühl mich Disco ein Feuerwerk an originellen Einfällen und trotz schwierigen Themas mit Schwung inszeniert. Aber Vorsicht: Ohrwurm-Gefahr!
 
"Baby, du hast etwas, was ich dir sagen möchte – das ist so ein Gefühl so tief in mir und wenn du mich fragst, wie ich mich fühl, dann sag ich dir: Ich fühl mich Disco, ich bin so heiß, so sexy in the night, ich fühl mich Disco."
 

Stream [arte bis 23.2.2021]

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