Kritik zu Ehrenmedaille
Was weiß man schon über sich selbst? Peter Cálin Netzer schickt einen Rentner im Rumänien der 90er Jahre auf Vergangenheitsrecherche mit zwiespältigem Ergebnis
Die 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts waren, zumindest aus eurozentristischer Sicht, eine seltsame Zeit. Für die einen ein Frühling der Hoffnung, für andere ein Winter der Verzweiflung, die einen glaubten, nun endlich alles vor sich zu haben, die anderen sahen sich vors große Nichts gestellt (um hier einmal den berühmten Romananfang von Charles Dickens’ Chronik einer anderen Postrevolutionsepoche zu paraphrasieren). Die volle Breitseite dieser in höchstem Maße ambivalenten Gefühle erlebten natürlich die Einwohner der »Wendeländer« in Ost- und Mittelosteuropa. Wenig verwunderlich, dass hier der Zweideutigkeiten gemacht werden. Geradezu eine Vorreiterrolle spielt in diesem Genre der »Umbruchsfilme« seit einigen Jahren das rumänische Kino. Über das Warum lässt sich nur spekulieren, für den Fakt, dass es so ist, liefert Peter Cátin Netzers Ehrenmedaille, der mit einiger Verspätung in unsere Kinos kommt, einen weiteren starken Beleg.
Ehrenmedaille spielt im Jahr 1995 in Bukarest. Man bereitet sich auf den 50. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs vor. In diesem Zusammenhang bekommt der Mittsiebziger Ion Ion (Victor Rebengiuc) die Nachricht, er möge sich eine Ehrenmedaille abholen, die ihm für seine besonderen Dienste im Kampf gegen die Deutschen verliehen werde. Ion, der mit seiner Frau Nina (Camelia Zorlescu) nicht eben im Wohlstand wohnt, würde sich gerne über die erwiesene Ehre freuen, zumal ihn der Postbote darauf bringt, dass eine Rentenerhöhung damit verbunden´sein könnte. Allein – er hat keine Ahnung, warum er die Medaille bekommt. Auf diskrete Weise – schließlich möchte er nicht undankbar erscheinen – versucht er herauszufinden, für welche »Heldentat« man ihn auszeichnet.
Das klingt zunächst nach einer Steilvorlage für eine groteske Komödie, doch Netzer verfährt mit seinem Stoff etwas anders. Ions Besuche auf diversen Ämtern, wo man mit der immer gleichen Unfreundlichkeit abwarten oder weitere Eingaben von ihm fordert, werden nur leicht auf ihre Situationskomik hin ausgespielt. Ähnlich ist es mit den übrigen Alltagswidrigkeiten wie der schlecht funktionierenden Heizung. Das eigentliche Chaos der Umbruchszeit zeigt sich hier einmal nicht in solchen Äußerlichkeiten, sondern in dem, was in Herrn Ion vor sich geht.
Die Suche nach einem möglichen Grund für die Auszeichnung nämlich berührt sein Selbstwertgefühl mehr, als er es zugeben kann. Für die Kriegszeit findet er irgendwann eine »Tat«, für die er glaubt, sich feiern lassen zu können – auch wenn sich das bald als falsch herausstellen wird. Es ist sein übriges Leben, das einer Befragung nach dem, was »auszeichnungswert« wäre, nicht standhält. Was hat er seinem Sohn angetan, als er 1988 verhindern wollte, dass dieser das Land verlässt? Warum redet seine Frau seit Jahren mit ihm nur noch das Nötigste? Und warum bedeutet ihm die Medaille auf einmal so viel?
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