Interview: Fradique Bastos über Filme aus Afrika

Die neue Welle

Filme aus Afrika werden sichtbarer, auf Festivals, im Kino. Das liegt auch am wachsenden Selbstbewusstsein der Regisseure und Regisseurinnen. Fradique Bastos, Kurator in Köln, über ein Kino, das seine eigenen Geschichten erzählt – und sich nicht mehr erklären muss

Wie behält man als Kurator das Filmschaffen eines ganzen Kontinents im Blick und für welches Programm steht das Afrika Film Festival? 

Das Gute an unserem Festival ist, dass es nach dem Ende der großen Festivals wie Sundance, der Berlinale und Cannes stattfindet. Wir wählen auf diesen Festivals die besten afrikanischen Filme für unser Programm aus. Die kleineren unabhängigen Filme, die wir auch zeigen wollen, kommen oft in letzter Minute. Wir haben einen Wettbewerb, der Spiel- und Dokumentarfilme umfasst. Im Programm sind in diesem Jahr einige Deutschlandpremieren wie »Death of a Saint« von Patricia Bbaale Bandak aus Uganda, »Didy« von Gaël Kamilindi und François-Xavier Destors aus Ruanda oder »The Brink of Dreams« von Nada Riyadh und Ayman El Amir aus Ägypten. Außerdem gibt es Sektionen für Kurzfilme oder historische Filme, und wir bieten Panels und Workshops an, die sich mit Resilienz und Wiedergutmachung befassen. Das Thema »Vermächtnis« zieht sich durch das diesjährige Programm.

Kann man überhaupt pauschal über das afrikanische Kino sprechen?

Wir zeigen Filme aus allen Teilen Afrikas. Aus Ostafrika, Subsahara-Afrika, Nord- und Westafrika und Zentralafrika, darauf bin ich sehr stolz. Denn viele afrikanische Filmfestivals kuratieren ihr Programm entweder anglo- oder frankophil und die meisten Filme kommen dann aus Nordafrika. Wir laden auch Filmschaffende aus Mosambik, dem Senegal, den Kapverden, Kenia, Südafrika oder dem Kongo zu uns nach Köln ein. Damit alle Zugang haben, screenen wir in der Originalfassung mit Untertiteln, Simultandolmetscher helfen bei den Q&As oder den Panels. Wir repräsentieren eine große Vielfalt, wenn es um den Kontinent geht, also ist es in Ordnung, vom afrikanischen Kino zu sprechen, so wie man auch vom europäischen Kino spricht. 

Ist es komplikationslos möglich, Gäste aus Afrika nach Köln einzuladen? 

Das ist immer ein großes Problem. Es ist sehr bedauerlich, dass es unseren Gästen so schwer gemacht wird, nach Deutschland zu reisen, um ihre Arbeit zu präsentieren und darüber zu sprechen. Selbst wenn ihre Filme von europäischen Filmfonds unterstützt werden. Eine sehr traurige Situation, die Filmschaffende in ihrer Karriere einschränkt und verhindert, dass ihre Arbeiten gesehen werden. Denn es ist etwas völlig anderes, ob man einen Film mit Regisseur*innen und einer ordentlichen Fragerunde im Anschluss zeigt – oder nicht. Das Publikum liebt das, auch um über Drehbedingungen und das Filmschaffen insgesamt im jeweiligen Land zu sprechen. Es sollte für Filmemacher*innen aus dem globalen Süden einfacher sein, nach Deutschland zu kommen, denn umgekehrt ist es total einfach. Will ein europäischer Filmemacher Afrika besuchen oder sogar dort drehen, ist das kein Problem. Mehr Gegenseitigkeit wäre hier wünschenswert.

Wie kommt man in Afrika zum Film? 

Ich komme aus Angola und bin ins Ausland gegangen, um dort eine Filmschule zu besuchen. Inzwischen gibt es in Angola eine Hochschule, an der man einen Bachelorabschluss im Bereich Film machen kann. Das ist aber in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich geregelt. Meist sind die Fördermittel für Film oder Kultur insgesamt knapp. Andererseits hat Südafrika eine sehr starke Filmindustrie, die staatlich gefördert wird, genau wie Nigeria und Marokko. Vernetzung ist für Filmschaffende besonders wichtig. Das Afrika Film Festival Köln hat sich im Laufe der Jahre als Ort etabliert, der genau das fördert. Es ist ein Ort, an dem eine starke Community afrikanischer Regisseur*innen, Produzent*innen und Talente zusammenkommt. Wir versuchen immer sicherzustellen, dass unsere Gäste auch rein organisatorisch die Möglichkeit haben, andere Filme zu sehen und miteinander in Kontakt zu kommen, anstatt ihre Filme zu präsentieren und kurz danach wieder abzureisen.

Gibt es aktuell bestimmte thematische oder ästhetische Trends im afrikanischen Film?

Das diesjährige Thema »Vermächtnis« wurde nicht grundlos ausgewählt. Ich habe das Gefühl, dass es eine neue Generation von Filmschaffenden gibt, die das Erbe ihrer Länder, Familien und ihre eigenen Geschichten verstärkt reflektiert. Auf dem Festival wird es auch eine Podiumsdiskussion über die neue Welle junger Dokumentarfilmer*innen in Afrika geben, das ist ein Trend der letzten zwei Jahre. 

Auf welche Highlights der diesjährigen Ausgabe freuen Sie sich?

Wir werden zwei sehr wichtige Filmemacher auf dem Festival haben. Einer von ihnen ist der Afroamerikaner Billy Woodberry, der in den siebziger Jahren Teil der US-Bürgerrechtsbewegung war und den Black Panthers verbunden ist. Er bringt seinen neuen Film »Mário« über Mário de Andrade mit, ein panafrikanischer Intellektueller, Aktivist, Diplomat und Dichter, der sein ganzes Leben lang für den Aufbau eines afrikanischen Staates gekämpft hat. Ein weiterer erfahrener Filmemacher, den wir eingeladen haben, ist Sana Na N'Hada. In seinem Film »Nome« lässt er die revolutionäre Vergangenheit Guinea-Bissaus durch poetische Erzählungen und Archivmaterial wieder aufleben. Und es gibt einen Klassiker, auf den ich mich freue: »Xala« von 1974 von Ousmane Sembène. Das ist ein senegalesischer Regisseur, Produzent und Autor, der für seine sozialen und politischen Filme bekannt ist und oft als »Vater des afrikanischen Kinos« bezeichnet wird. Er betrachtet gesellschaftskritische Themen durch eine ganz eigene afrikanische Linse. Aber mein persönliches Highlight ist es, die oben erwähnten Regieveteranen in Kontakt mit jüngeren Generationen zu bringen und ich freue mich auf die Gespräche, die sie miteinander führen werden. 

Wie ist das Verhältnis zwischen weiblichen und männlichen Regisseuren auf dem Festival?

Letztes Jahr hatten wir ungefähr 60 Prozent männliche und 40 Prozent weibliche Filmschaffende. Dieses Jahr ist das Verhältnis paritätisch. Filmemacherinnen sind überall auf der Welt in der Minderheit, in Afrika haben wir das gleiche Problem. Für uns als Kurator*innen ist es wichtig, sich dieses Problems bewusst zu sein und zu versuchen, Filmemacher*innen und übrigens auch LGBTQIA*-Filmschaffenden einen Raum zu geben, um ihre Arbeit zu zeigen.

Was zeigen und vermitteln Filme aus Afrika, was andere Filmkulturen nicht können?

Wir alle sind mit Hollywoodfilmen über die US-amerikanische Politik und Kultur aufgewachsen. Auch die europäischen Länder hatten jahrelang die Möglichkeit, ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Das haben sie auf viele verschiedene Arten auch getan, hauptsächlich für ein westliches Publikum. Als ich zum ersten Mal deutsche, französische oder spanische Filme sah, kannte ich die Namen der erwähnten Städte nicht. In diesen Filmen wird nichts erklärt! Andersherum wurden afrikanische Filme aber jahrelang vor allem für dieses westliche oder europäische Publikum gemacht. Mittlerweile sind afrikanische Filmemacher*innen aber sehr darauf bedacht, ihre eigene Sprache zu finden und eigene Ideen aufzugreifen. Das afrikanische Kino konzentriert sich in letzter Zeit mehr darauf, seine eigenen Geschichten mit einer eigenen Stimme zu erzählen. Wenn sich Menschen heute afrikanische Filme ansehen, müssen sie dazulernen und auch mal nachschlagen, wenn sie etwas nicht verstehen. Zum Beispiel, wo Sambia liegt oder wie der historische Kontext eines afrikanischen Landes ist. Wir als afrikanische Filmemacher müssen den Kontext unserer Arbeit nicht mehr so erklären früher. Wir machen einfach unsere Filme, erzählen unsere Geschichten und wer das sehen will, ist herzlich eingeladen. 

Ist Köln ein guter Festivalort oder wäre Berlin oder Hamburg besser geeignet? 

Ich mag Köln sehr. Das Publikum ist hier engagiert und stellt treffende Fragen. Auch die Studierenden der Universitäten und Filmhochschulen sind auf dem Festival sehr präsent. Im Vergleich zu Berlin ist Köln außerdem eine kleine Stadt, das Kino ist zu Fuß erreichbar und man begegnet sich hier leichter. Ich hoffe, das bleibt so. Heutzutage scheinen sich Festivals und andere Kulturprojekte oft zu fragen: Wie können wir größer werden, wie können wir ein größeres Publikum erreichen? Das ist eine Art Start-up-Mentalität und sehr kapitalistisch gedacht. Dabei ist es manchmal besser, es klein zu halten. Wenn man elf Tage lang zu jedem Screening einen Raum mit 150 Personen füllen kann, um gemeinsam afrikanische Filme zu sehen, ist das doch großartig! Die Qualität der Gespräche und der Fragen ist bei dieser Anzahl von Zuschauer*innen ohnehin besser. Beunruhigend ist hingegen die Abhängigkeit des Festivals von staatlicher und kultureller Förderung. Weltweit finden immer mehr Kriege statt, und die kosten Geld. Das erste Budget, das meist gekürzt wird, ist dann das für Bildung und Kultur. Das Festival ist derzeit akut bedroht. Schon in diesem Jahr ist das Budget rund 40 000 Euro geringer als zuvor. Die Fortsetzung der Förderungen auf Landes- und Bundesebene ist mehr als ungewiss und somit auch die Zukunft des Festivals. 

Ich hoffe, dass das Festival seine Finanzierung behält, um weiterhin einen Gedankenaustausch zwischen Afrika und Deutschland zu ermöglichen und zwischen beiden Kontinenten zu vermitteln. Wir müssen andere Meinungen und Sichtweisen kennenlernen und nicht nur auf uns selbst schauen. 

Fradique Bastos

... geboren 1986 in Luanda, Angola, ist Filmregisseur (»Independência«, 2015; »Air Conditioner«, 2020), Drehbuchautor und Kurator. Er lebt derzeit in Berlin und ist seit 2023 Kurator für das Afrika Film Festival Köln. Die erste Festivalausgabe datiert auf das Jahr 1992, das 30-jährige Jubiläum wurde 2022 gefeiert. Das Afrika Film Festival Köln bietet die umfassendste Präsentation zeitgenössischen afrikanischen Kinos in Deutschland. Es findet vom 19. bis 29. September 2024 statt.

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