Kein Ort für Kulturpessimisten

Es hat Vorzüge, keine eigene Waschmaschine zu besetzen. Man darf sich an kommunikative Orte begeben, wo sich mannigfache Gelegenheiten bieten. In „Jubilee“ etwa dient ein Waschsalon der resoluten Anbahnung. Crabs, eine der munteren Nihilistinnen aus Derek Jarmans Film, legt vor dem ersten Waschgang einen Striptease hin und animiert einen hübschen Blondschopf, es ihr nachzutun.

Flugs landen die Zwei im Bett, wo es nach vollzogenem Sex zu einer überraschenden Offerte kommt. "Lass uns heiraten", schlägt Crabs dem Unbekannten vor, der ihr die Antwort jedoch schuldig bleiben muss, weil es an der Haustür klingelt. Dort erwarten ihn Crabs Freundinnen mit einem Molotowcocktail. Spätere Heirat ausgeschlossen. Der schöne Blonde ist nämlich ein Polizist, an dem sich die Frauengang für den Tod ihrer bisexuell-inzestuösen Mitbewohner rächen will „Jubilee“ von 1977, der erste offizielle britische Punk-Film, ist gewissermaßen die Initialzündung einer Reihe, die das Filmhaus Nürnberg (https://www.kunstkulturquartier.de/filmhaus/programm/schwerpunkte/london-is-the-place-for-me) ab dem 23. Mai einen Monat lang zeigt. Der Titel beschwört die Stadt an der Themse als Heimat und Sehnsuchtsort, mithin werden hier nicht nur Chaos und Zerstörung herrschen, sondern wird auch eine prunkende Zukunft verheißen. So gerät in »My beautiful Laundrette« von Hanif Kureishi und Stephen Frears knapp ein Kinojahrzehnt nach Jarman wiederum ein Waschsalon zum Schauplatz eines weitaus ersprießlicheren meeting cute der Kulturen und sozialen Sphären. Seine Renovierung schmiedet einen Skinhead und einen Sohn pakistanischer Einwanderer zusammen. Wenn die Neonreklame über dem wiederbelebten Treffpunkt zum ersten Mal angeschaltet wird, ist das ein magischer Moment. Die Kamera verhängt einen Zauber über das heruntergekommene Viertel in London, in dem sich plötzlich die Träume der Migranten erfüllen könnten.

Die Kinometropole erscheint in der Nürnberger Auswahl als ein Brennpunkt, der zum Aufbruch ermuntert, zum Abschütteln gesellschaftlicher Fesseln und bürgerlicher Konventionen. Neben »Mein wunderbarer Waschsalon« erzählt zum Beispiel auch Hettie Mac Donalds immer wieder erfreuliches Regiedebüt »Beautiful Thing« (1996) von einem geglückten Coming out: Die Reihe leuchtet in allen Farben des Regenbogens. »Burning an illusion« von 1981, ebenfalls ein Spielfilmdebüt (Menelik Shabazz hat als Dokumentarist begonnen), handelt von einer jungen Büroangestellten, die sich allmählich von ihren kleinbürgerlichen Träumen verabschiedet, um sich ihrer karibisch-afrikanischen Wurzeln bewusst zu werden. Sie emanzipiert sich (wenngleich nie ganz von ihrer toxischen Beziehung), liest Malcolm X, Frantz Fanon und Toni Morisson, erstreitet sich eine neue Identität in zivilbürgerlichem Engagement und ausgelassener weiblicher Solidarität. Die alten Illusionen zu verbrennen hilft, sich der Zukunft zu nähern. »Burning an Illusion« fand damals ungeheure Publikumsresonanz als ein Wendepunkt im Black British Cinema, obwohl er erst mit einiger Verspätung eine selbstbewusste Tradition begründete.

Obwohl auch zwei Stummfilmklassiker von Hitchcock und E.A. Dupont laufen, liegt dem Zyklus der Grundimpuls des populären britischen Kinos fern: die Nostalgie. Die Filme nehmen den Puls ihrer jeweiligen Zeit. Antonionis »Blow up« ist eine Momentaufnahme der Swinging Sixties. Ein Gutteil der Beispiele reflektiert das Klima der Thatcher-Ära, als die Verharschung der sozialen Verhältnisse, Homophobie und Rassismus sich neuerlich Bahn brechen. Das Kino gibt nicht klein bei, es formuliert utopische Gegenentwürfe, das BFI oder auch Channel 4 setzen als Mitproduzenten neue Akzente und fördern junge Erzähltalente. Im Gegenzug darf der Altmeister Ken Loach in diesem Zusammenhang nicht fehlen, der seinen Figuren unbeirrt die Stange hält. "Happy go lucky" demonstriert heiter, wie sie ihren Überlebenskampf gleichsam als Traumwandler führen.

Wenn ich eingangs "Jubilee" als Initialzündung bezeichne, meine ich das in mehrfacher Hinsicht. Jarmans experimenteller Stil fällt ein wenig aus der Reihe, soll sich jedoch als folgenreich erweisen. Er zeichnet das Bild eines dystopischen London, in dem die nationalen Symbole bilderstürmerisch aufgemischt werden. Allerdings treibt auch der britische Nazifetisch mulmige Blüten. Das martialische "No future" ist eben auch ein Zukunftsversprechen. Der Titel bezieht sich sarkastisch auf das silberne Kronjubiläum von Elizsabeth II, das später auch "Young Soul Rebels" als Hintergrund dient (siehe "Ökonomie der Unabhängigkeit" vom 16. 5. 2023). Die Unterhaltungsindustrie funktioniert bei Jarman übrigens noch leidlich, im Fernsehen treten unaufhörlich Punk-Gruppen auf. Der Soundtrack ist stilbildend in seiner Lebhaftigkeit, findet ein Echo beispielsweise in der unwiderstehlichen Reggae-Untermalung von »Burning an Illusion«. Noch bezeichnender ist jedoch das Moment der Umwidmung, etwa von "Non, je ne rette rien". Gewiss, dieses Prinzip der Verfremdung gibt es auch schon in »Uhrwerk Orange«, wo einem bei »Singing in the Rain« Hören und Sehen vergeht. Aber bei Jarman spielt das Zitat als Indiz der kulturelle Aneignung eine positiv besetzte Rolle. Es besiegelt Prozesse der Transformation.

Dieses Moment der Verwandlung durch Besitznahme hat Einfluss auf spätere Suchbewegungen. Die Regisseurinnen und Regisseure knüpfen zwar ästhetisch oft an die Tradition des britischen Sozialdramas an, deuten den kitchen sink realism aber entschieden neu; mit Gespür für Atmosphäre und das Timbre des Augenblicks. Sie wählen vertraute Szenerien (Notting Hill nebst Karneval in »Burning an Illusion«, die Hochhaussiedlung in »Beautiful Thing« - noch vor der Rehabilitation des Brutalismus!), um ungeläufige Geschichten zu erzählen. Sie schürfen nach ihren Figuren an den Rändern der Gesellschaft, um diese unverhofft im Zentrum zu verankern.

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