Fraktur

Ursprünglich sollte dieser Eintrag ganz anders anfangen. Sein Tonfall, seine Haltung wären anders ausgefallen. Das wäre riskant gewesen, denn dann hätte ich den Reflexen gehorcht, die ich eigentlich tadeln wollte. Zumal es um einen Gegenstand geht, von dem ich relativ wenig verstehe: der Mode.

Gestern fiel mir die Meldung ins Auge, Tom Hanks' ältester Sohn werde angegriffen, weil er in der von ihm entworfenen Bekleidungslinie eine „rassistische“ Schrifttype verwenden soll, genauer: eine, die denen ähnelt, die bei Nationalisten etc. beliebt ist. Da schrillten erst einmal alle Alarmglocken. Wie kann eine Schrifttype rassistisch sein? Das kann sie genauso wenig wie ein Satzzeichen, eine Großaufnahme, ein Schnitt oder eine Überblendung. Und dann: eine bloße Ähnlichkeit als Grundlage eines Urteils, also Schuld kraft Assoziation?

Es kann einem schon mulmig werden in diesen Zeit der Instant-Empörung, der übereilten Aufwallungen und dem inflationären Gebrauch von Reizwörter. Das Zurschaustellen der eigenen Meinungsstärke lässt keine Schonfrist des Zweifels, des Nachhakens. Es folgt einer Logik der Kaskade. Mein ursprünglicher Text hätte deshalb wahrscheinlich mit dem Diktum einer klugen Kollegin geendet, wir würden derzeit einfach alle viel zu viel zuhause rumhängen. Da es, wie gesagt, aus klugem Munde stammt, kann der Satz natürlich immer noch vorkommen. Er fiel in einem anderem Zusammenhang, eignet sich aber als Passepartout, um die momentane Debattenunkultur einzuordnen. Es ging um die italienische Erregung, die Arno Widmans entzauberte und spürbar liebevolle Auseinandersetzung mit dem Nationaldichter Dante ausgelöst hatte: Kaum einer der Empörer hatte ihn gelesen, das Gerücht war Brandbeschleuniger genug. Immerhin erfreulich, dass die „Frankfurter Rundschau“ auch in Italien gelesen wird. Wenn Sie jetzt meinen, ich schweifte ab, haben Sie nur zur Hälfte Recht.

Chet Hanks, der nicht nur als Sohn und Rapper, sondern auch als Modedesigner in Erscheinung tritt, hat eine Kollektion von Hoodies und sonstigen unansehnlichen Kleidungsstücken lanciert, die den verquasten Titel „White Boys Summer“ trägt. Die darauf prangenden Worte sind in einer Spielart der Fraktur gehalten, die auch die Proud Boys und andere Gruppierungen schätzen. Ich vermute, in diesen Sphären herrschen gewisse Codes, die bewusst vage gehalten sind und von ihren Benutzern wohl nur im Ausnahmefall verstanden werden. Die Fraktur ist ein Font, der im Dritten Reich lange Zeit hoch im Kurs stand, bis er 1941 durch die Antiqua ersetzt wurde und fortan „jüdisch“ gescholten wurde. Wenn ich mich recht erinnere, ist sie auch auf den Einbänden der Hitler-Tagebücher in „Schtonk!“ zu sehen. Daran hätte den Experten eigentlich schon die Fälschung auffallen müssen, nicht wahr? Alles in allem also eine schillernde, aber nicht offene Angelegenheit.

Seit ich mir im Netz Chet Hanks' Kreationen angesehen habe, bin ich auch der Ansicht, dass sie anstößig sind. Mit derlei Assoziationen muss man nicht nicht spielen, weder aus Unwissen, noch aus Kalkül. Ich bezweifle, dass die Proud Boys die Historie einer Schrifttype so genau recherchieren, vermutlich fischen sie eher im Trüben. Aber hiesige Neonazis verwenden die Frakturschrift (Varianten treten auch bei Querdenker-Demos auf den Plan) bestimmt nicht von ungefähr. In dem Omnibusfilm „Deutschland 09 – 13 Fragen zur Lage der Nation“ spielt sie eine bemerkenswerte Rolle. Die Episode von Hans Steinbichler heißt gar "Fraktur" - wann ist ein deutscher Filmtitel schon einmal so beziehungsreich? - und sticht durch seine enorme satirische Wucht heraus. Darin spielt Josef Bierbichler einen Unternehmer aus dem Bayerischen, der über ein festgefügtes Weltbild verfügt. Das gerät aus den Angeln, als er entdeckt, dass die Frankfurter Allgemeine sich entschieden hat, die Schrifttype nicht mehr in ihren Artikelüberschriften zu verwenden. (Die Neue Zürcher Zeitung schaffte sie bereits nach dem Krieg ab.) Bierbichler, dessen Figur man sich unmöglich als Rundschau-Leser vorstellen könnte. ist dermaßen erschüttert, dass er es auf sich nimmt, von Berchtesgaden nach Frankfurt zu fahren, um die Redaktion zur Rechenschaft zu ziehen. Die Konferenz endet in einem Massaker. Manchmal entstehen Taten nicht nur aus Worten. Aber genügt eine Schrifttype?

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