Tyrannische Stimmen
Auch an mir ist der 100. Geburtstag von Louis de Funès nicht spurlos vorüber gegangen. Überraschend bat mich der Filmredakteur der Wiener Wochenzeitung "falter" um eine Gratulation. Sonst bringen die solche Jubiläumsartikel eigentlich nicht, nicht mal aus seriöserem Anlass. Enthusiastisch munitionierte er mich mit Links zu Glanznummern, namentlich dem Kosaken-Tanz aus »Le Grand Restaurant« (die deutschen Alternativtitel »Scharfe Sachen für Madame« und »Oscar hat die Hosen voll« sind auf je eigene Weise Blödsinn). Man sollte die anhaltende Ausstrahlung des französischen Komikers im deutschsprachigen Raum nicht unterschätzen.
Den Artikel zu schreiben, bereitete mir größeres Vergnügen, als ich vermutet hätte. Es ist ja nicht zwangsläufig erfreulich, sich an die Kino- und Fernseherlebnisse seiner Kindheit und Jugend erinnern zu müssen. Im Fall des rechtsanarchischen Grimassenschneiders war es ertragreich. Ich amüsierte mich köstlich, sowohl über wie unter Niveau. Vor allem zwei neue Erkenntnisse nahm ich aus der Arbeit mit. Erstens: In Schwarzweiß ist er noch nicht witzig. Zweitens: Obwohl seine Figuren abscheulich xenophob sind und mit Fremdsprachen ihre liebe Mühe haben, war er ein Herold der europäischen Einheit. Die erste These ist nicht ganz leicht erklärt (obwohl es nur ein Gegenargument zu ihr gibt: »Zwei Männer, ein Schwein und die Nacht von Paris«, wo er kurz als Gegenspieler von Jean Gabin und Bourvil auftritt): Sein Humor ist eine Errungenschaft vorangeschrittenen Alters und sozialer Mobilität – es braucht einfach einige Jahrzehnte des Katzbuckelns, um nach unten treten zu können – und ein Phänomen des Wirtschaftsbooms, der sich eben auch in der Sättigung der Farbe zeigt. Als Beleg der zweiten These hingegen muss man nur den Umstand erwähnen, dass seine Filme in der Regel als Co-Produktionen entstanden sind und enormen Erfolg auch außerhalb des Hexagons feierten.
Nach getaner Arbeit hatte ich weiterhin Lust, seine Filme im Fernsehen wiederzusehen (den dritten Programmen sei Dank). Seitdem habe ich noch eine dritte (und eine vierte: Bei ihm kommen ständig Helikopterflüge vor) Erkenntnis hinzugewonnen: Er ist nur so gut wie seine Synchronsprecher. Die wechselten zwar häufig (und tun es immer noch: für die Neusynchronisation für DVD, die meist so temperamentlos klingen, als seien sie noch von der DEFA vertont), aber vor allem drei liehen ihm relativ kontinuierlich ihre Stimme: Klaus Miedel, Gerd Martienzen und am Ende Peter Schiff. Letzterer ist der am wenigsten interessante in der Riege. Seine Modulation ist einfach zu behäbig, was leider den matten Eindruck unterstreicht, den de Funès' Filme nach »Brust oder Keule« hinterlassen. Miedel ist sozusagen ein Medium des Übergangs: Er tritt in Erscheinung, bevor die tyrannische Macht der de Funès-Figuren unangefochten ist (»Le Grand Restaurant« ist ein gutes Beispiel dafür, wo er zwar als Patron eines Gastro-Tempels ein drakonischer Gastgeber ist, aber den herablassenden Spott seines Oberkellners zähneknirschend hinnimmt und vom Chefkoch aus der Küche gescheucht wird). Bei Miedel herrscht noch ein gewisses Zögern, er dehnt noch die Vokale. Allerdings habe ich sein Hirnsausen aus „Oscar“ als ziemlich rasant in Erinnerung.
De Funès kongeniales alter ego ist der im belgischen Ostende geborene Martienzen, dessen Timbre Ihnen aus den »Gendarmen« und »Fantômas«-Filmen vertraut sein müsste (und der auch häufig Sammy Davis jr. und Frank Sinatra in Komödienrollen sprach). Er gab de Funès' verbaler Hektik den Raum und Elan, den sie brauchte. Ihm gelang mühelos jene frenetische Diktion und irrsinnige Verselbstständigung des Sprechens, die zur Stromstoß-Gestik des Komikers passen. Er verstand, dass Unfug blitzgescheit wirken muss. Aber er hatte noch einen weiteren Vorzug, der in seinem Metier meist unterschätzt wird: Der Klang seiner Stimme kommt dem Original ungeheuer nahe.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns