Streaming-Tipp: »Druck« und »Skam«
»Skam« (Serie, 2015)
Ende September wurde die vierzigste und letzte Folge der deutschen Serie »Druck« – einer Produktion von »funk«, dem auf Jugendliche ausgerichteten Online-Medienangebot von ARD und ZDF – hochgeladen. Nach vier Staffeln müssen die Fans nun Abschied nehmen von den geliebten Figuren, und Fans gibt es hierzulande viele. Allein der YouTube-Kanal hat über 370 000 Abonnenten; die zweite Staffel, bislang die populärste, verzeichnet gar über eine Million Aufrufe pro Folge. Ein für die Öffentlich-Rechtlichen mehr als beachtlicher Erfolg, denn der Großteil der Fans von »Druck«, in dem sensibel und vor allem realistisch das Leben einer Freundesgruppe an einem Berliner Gymnasium geschildert wird, ist zwischen 14 und 25 Jahre alt.
Tatsächlich ist »Druck« aber kein Originalkonzept, sondern knüpft an den gigantischen Erfolg der norwegischen Web- und Fernsehserie »Skam« an. »Skam« (norwegisch für »Scham«) wurde von 2015 bis 2017 ausgestrahlt. Ebenfalls in vier Staffeln erzählt die Serie von Jugendlichen an einem Osloer Gymnasium, wobei jede Staffel den Fokus auf eine andere Figur richtet. Es geht um Freundschaft und Liebe, sexuelle Orientierung und die Frage, wie und wer man eigentlich sein möchte. Ein bisschen wie das britische »Skins« (UK 2007–2013), nur mit weniger Party und mehr Nähe zur Realität.
Der Plot besteht aus den üblichen Highschool-Motiven: Die erste Staffel drehte sich um die 16-jährige Eva, die sich zuvor in den Freund ihrer besten Freundin verliebt hat und nun zwar mit diesem Jonas zusammen ist, sich aber neue Freundinnen suchen muss. So kommt sie unter anderem mit Noora und Sana zusammen, um die sich zwei der nächsten Staffeln drehen. In der dritten Staffel sieht sich außerdem Isak, Jonas' bester Freund, mit seiner Homosexualität konfrontiert, als er sich unerwartet verliebt. Die vierte Staffel begleitet Sana, die sich als gläubige Muslimin mit den Vorurteilen auseinandersetzen muss, die ihr tagtäglich entgegenschlagen.
Was die Serie vor allem von anderen Jugendserien absetzt, ist ihr Konzept: Der Plan von NRK – der norwegischen Rundfunkgesellschaft – war es, ein jüngeres Publikum anzulocken. Das sollte verstärkt durch die Nutzung sozialer Medien geschehen. Viele Figuren hatten etwa eigene Instagram-Profile, denen das Publikum folgen konnte, als wären sie echte Freunde und Freundinnen (Isak ist auf Instagram unter dem Namen isakyaki zu finden), und es wurden immer wieder Chat-Verläufe von WhatsApp hochgeladen, damit das Publikum mitlesen konnte, was sich die Charaktere untereinander schrieben. Hinzu kam, dass die Folgen szenenweise im Lauf der Woche hochgeladen wurden – und zwar immer genau zu dem Zeitpunkt, an dem die Charaktere sie auch erlebten. »Montag, 10:15« stand dann zum Beispiel am Anfang einer Szene, und eben das war dann auch der Moment, in dem sie im Web zu sehen war.
Das Konzept ging auf. »Skam« wurde zur erfolgreichsten norwegischen Webserie aller Zeiten, mit durchschnittlich über einer halben Million Aufrufe pro hochgeladener Folge. Unglaublich viel, wenn man bedenkt, dass Norwegen um die fünf Millionen Einwohner hat. Die Beliebtheit und Allgegenwart der Serie ist selbst zur »urbanen Legende« geworden: Es kursieren Geschichten von Partys, auf denen die Musik gestoppt wurde, als Rufe laut wurden: »Eine neue Szene von »Skam« ist da!«, woraufhin alle ihre Handys hervorholten, um sich anzusehen, was gerade bei Isak, Eva und Noora passierte. Ob unter oder über 25: In Norwegen gibt es kaum jemanden, der die Serie nicht kennt.
Spätestens mit der Ausstrahlung der dritten, sich um Isak und seine Homosexualität drehenden Staffel wurde auch das Ausland auf die Serie aufmerksam. Weil NRK keine untertitelte Version lieferte, entstanden riesige Fangemeinden, die die Serie inoffiziell untertitelten und auf diversen Plattformen verbreiteten.
2017 wurden die Rechte an dem Konzept dann in die USA, Niederlande und nach Italien, Deutschland, Spanien, Frankreich und Belgien verkauft. Alle diese Länder haben bereits mindestens zwei Staffeln ihrer eigenen Adaptionen herausgebracht. Voraussetzung für die neuen Verfilmungen war das Versprechen, das Original nicht eins zu eins zu kopieren. Die Länder sollten selbst vorher recherchieren, was Jugendliche spezifisch in ihren Regionen umtreibt. Trotzdem sind die Unterschiede zwischen den Serien mitunter minimal. Im Grundkonzept folgen sie mehr oder weniger alle demselben Plot, es tauchen die gleichen Figuren auf, die sich größtenteils mit den gleichen Problemen konfrontiert sehen, sogar manche Dialoge wurden eins zu eins aus dem Original übernommen.
Die Welten von jungen Menschen, zumindest in der sogenannten westlichen Hemisphäre, gleichen sich doch, egal ob man nun aus Oslo, Berlin, Rom oder Austin kommt.
Aber Differenzen gibt es dennoch, und genau diese machen es interessant, sich auch die Remakes von »Skam« anzusehen. Lässt sich in den kleinen Unterschieden doch manchmal sehr gut erfassen, wie andere Länder funktionieren. Die Art und Weise, wie sich die Mädchenclique in Norwegen anfreundet, hat ihren Ursprung etwa in einer speziellen Tradition: So ist es in Norwegen Brauch, kurz vor den Abschlussprüfungen zwei Wochen lang jeden Abend in einem Reisebus zu feiern. Bei der Organisation dafür treffen die Mädchen aufeinander, weil niemand sonst mit ihnen in einem Bus sein möchte. Solche länderspezifischen Traditionen müssen die Remakes natürlich ändern. In der deutschen Version sind sie dann eben zusammen im »Abistreich«-Komitee, während sie in den Niederlanden die Organisation einer gemeinsamen Abschlussreise anpacken.
Es ist außerdem auffallend, wie wenig präsent Eltern in der norwegischen Version sind. Sie sind entweder arbeitsbedingt unterwegs, interessieren sich nicht für ihre Kinder oder leiden, im Fall von Isaks Mutter, an mentalen Krankheiten, was Isak dazu zwingt, in eine WG zu ziehen. Schöpferin Julie Andem wollte ausdrücklich, dass ihre Protagonisten ihre Probleme eigenständig und ohne elterliche Hilfe lösen. Im Gegensatz dazu müssen Eltern in »Skam Italia« zumindest dann und wann auftauchen, ist es Jugendlichen in Italien doch nur sehr selten möglich, allein zu leben, solange sie unter 18 Jahren sind. So hat Martino – Isaks italienischer Counterpart – zum Beispiel wiederholt mit seiner schwer depressiven Mutter zu tun, mit der er natürlich noch in einer Wohnung lebt. Und die Mutter von Eleonora (Noora im Original) ist zwar selten da, telefoniert aber regelmäßig mit der Tochter.
Alle Adaptionen stechen gleichermaßen heraus durch ihr sensibles Porträt von belastbaren Freundschaften (Mädchen wie Jungen, die sich bei allem Drama, das auch geschieht, gegenseitig unterstützen) und Themen wie sexuellem Missbrauch und Homosexualität. In »Skam« werden Vorurteile aufgedeckt und Diskussionen über Religion geführt. Dabei sind die Diskutierenden unterschiedlicher Meinung, sie hören trotzdem zu und respektieren einander. Immer wieder wird auch stereotypes Geschlechterverhalten auf den Kopf gestellt.
Zurzeit gibt es kaum eine Serie, die das Leben von Jugendlichen wirklichkeitsgetreuer und mit mehr Zuneigung darstellt als »Skam« mit seinen Ablegern. Die verschiedenen Länderversionen erfüllen damit auch einen sozialen Auftrag: Jugendlichen etwas zu bieten, was sie verstehen und wo sie sich verstanden fühlen können. Vorausschauend war in dieser Hinsicht in der dritten Staffel des norwegischen »Skam« eine Szene, in der zwei Figuren gemeinsam auf dem Bett liegen: »Es gibt vermutlich ein Paralleluniversum, in dem Isak und Even genauso daliegen, nur dass die Vorhänge eine andere Farbe haben oder so«, meint Isak da. Sieben Remakes belegen, wie recht er hatte. Nur dass die Figuren eben nicht mehr Isak und Even heißen, sondern Martino und Niccolò. Oder David und Matteo. Oder Cristina und Joana...
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