Zürich Film Festival: Die Mischung funktioniert
Gewinner Internationaler Dokumentarfilm: »Heartbound« (2018)
Neues Schweizer Selbstbewusstsein und gutes Autorenkino beim Festival in Zürich
Man kam an den beiden Jungstars aus der deutschsprachigen Schweiz Luna Wedler und Max Hubacher nicht vorbei. Stolz widmeten ihnen die Schweizer Medien große Doppelportraits und ließen auch nicht unerwähnt, dass beide einst als Shooting Stars auf der Berlinale für internationale Aufmerksamkeit sorgten und in diesem Jahr so richtig durchstarten. Vor allem der gebürtige Berner Max Hubacher beeindruckte in Robert Schwendtkes »Der Hauptmann« als eiskalter und immer perverserer Mörder Willi Herold und wurde in seiner Heimat durch das Drama »Der Verdingbub« (2011) schlagartig bekannt. Die Züricherin Luna Wedler feiert derzeit in den deutschen Kinos mit »Das Schönste Mädchen der Welt«, in dem sie die Hauptrolle spielt, einen großen kommerziellen Erfolg.
Beide bereichern durch ihre Natürlichkeit und Intensität derzeit das deutschsprachige Kino, und in Zürich sah man sie auch gemeinsam in dem Schweizer Spielfilm »Der Läufer«. Dort spielt Hubacher Jonas, einen erfolgreichen Langstreckenläufer, der trotz großer sportlicher Erfolge, einer Freundin und einer Adoptivmutter, den Freitod seines älteren Bruders nicht verwinden kann. Immer wieder tickt er aus, greift junge Frauen an, entreißt ihnen die Handtaschen und wird dabei immer brutaler. Bis es zum ersten Mord kommt. Eine weiter erschreckend gute Performance von Hubacher, die auf einem wahren Fall basiert, der in der Schweiz für viel Aufregung sorgte. Luna Wedler spielt in »Der Läufer« eine prägnante Nebenrolle. Sie ist eine Arbeitskollegin, die zunächst mit Jonas flirtet, sich dann jedoch enttäuscht von ihm abwendet, als sie herausfindet, dass er bereits eine Freundin hat.
Man kann nur hoffen, dass »Der Läufer« auch einen deutschen Verleih finden wird. In Zürich kam das sehenswerte Werk jedenfalls gut an auch wenn der Film in den ersten zwei Wochen nur knapp 6000 Zuschauer in der Deutschschweiz interessierte. Denn auch in der einst als so »cinéphil« geltenden Schweiz brechen die Zuschauerzahlen dramatisch (fast 20%) ein, und das Publikum wendet sich von sperrigen und harten Stoffen ab. Voll sind in Zürich dann auch eher die Filme der bekannten Meister: der neue Lars von Trier oder die meisten Galavorstellungen mit anwesenden Stars wie Johnny Depp, Lady Gaga, Donald Sutherland etc. Aber schon ein Kirill Serebrennikov erreicht mit seiner wunderbar ironisch-verspielten Hommage »Leto« (Sommer) um die Anfänger russischer Rockmusik nur bedingt die Zuschauer. Der Kinosaal im großen Multiplex in der Sihlcity war bestenfalls halbvoll.
Den Festivalmachern um Nadja Schildknecht und Karl Spoerri gelingt immer wieder eine ausgewogene Mischung aus Arthouse-Mainstream und kleineren Filmperlen. Zu den eingeladenen Filmen im Gala Programm gehörten so der neue Film von Felix van Groeningen »Beautiful Boy« und der bemerkenswerte deutsche Spielfilm »Trautmann« von Marcus H. Rosenmüller. Im ersten amerikanischen Film des flämischen Regisseurs (»Belgica«) zeigt Steve Carell als überforderter, liebevoller Vater, der verzweifelt versucht, seinen Sohn vor dessen Drogensucht zu retten, erneut eine oscarreife Leistung. Und wie kaum ein anderer Regisseur versteht es Felix van Groeningen mit einer Mischung aus Trauer, Wut und Zärtlichkeit Dramen zu erzählen, die das Leben bejahen. Eine echte Überraschung gelang auch Marcus H. Rosenmüller in seinem Biopic über den deutschen Torwart Bert Trautmann, der nach seiner Kriegsgefangenschaft in England blieb und sich trotz großer politischer Widerstände bei Manchester City durchsetzte. Neben einem großartigen David Kross in der Hauptrolle bestechen auch die aus Ken-Loach-Filmen bekannten Gary Lewis und Dave Johns. Gerade weil der Film fast ausschließlich in England spielt und zu über 80% auf Englisch gedreht wurde, wirkt er wohltuend britisch und nimmt in puncto Schilderung des Arbeitermilieus und Humor erfolgreich Anleihen beim Kino von Loach, Frears oder Leigh. Was als kritische Aufarbeitung der Nazivergangenheit beginnt – wenn sich deutsche Kriegsgefangene im Lager als glühende Nazis oder kritische Geister gegenüber stehen –, wird zu einer interessanten Reflexion über antideutsche Ressentiments in Großbritannien und später zu einem packenden Sportfilm und (Familien) Drama.
Neben diesen Galavorstellungen am Abend leistet sich das ZFF nun schon vier Wettbewerbsprogramme: International, Deutschsprachig, Dokumentarfilm, und neu dabei sind TV-Serien. Die Idee, endlich auch Serien auf einem Filmfestival mit einzubinden ist überfällig, die Umsetzung jedoch fragwürdig. Von den TV-Serien (aus Deutschland waren u.a. der enttäuschende Beitrag »Arthurs Gesetz« und die viel versprechende, originelle Serie »Hackerville« dabei) sah man immer nur die 1. Folge, die ja oft nur die Handlung und die Stimmung etabliert. Das sagt nur selten schon genug über die Qualität einer Gesamtserie aus. Immerhin bekam man Appetit auf mehr, vor allem bei der »siegreichen« mexikanischen Serie, dem Regiedebüt des Schauspielers Gael García Bernal »Aqui in la tierra«, die als spannender Thriller beginnt und von der Vertuschung eines politischen Mordes erzählt.
Auch »Heartbound«, der Hauptpreisträger des Dokumentarfilmwettbewerbs, konnte überzeugen. In der dänischen Langzeitbeobachtung untersuchen die Filmemacher Janus Metz und Sine Plambech die Beziehungen zwischen dänischen Männern, die Frauen aus Thailand heiraten. Im Mittelpunkt steht Sommai, die einst als Prostituierte ihre Familie über Wasser hielt und seit über 25 Jahren in Dänenmark lebt und seitdem viele Ehen arrangiert hat. Was das auf Dauer für Auswirkungen auf die Familien hat, wie sehr die kulturellen Unterschiede ab einer gewissen Dauer in den Beziehungen doch immer größer werden, wird in diesem klug beobachtenden Dokumentarfilm meisterhaft herausgearbeitet. Ein origineller und ganz anderer Beitrag über sogenannte »Wirtschaftsflüchtlinge«.
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