»Nová Vlna«: Avantgarde und Alltag
»Die Liebe einer Blondine« (1965) von Miloš Forman
Auch im tschechoslowakischen Kino der späten 60er gab es eine Nouvelle Vague: ein experimentierfreudiges, lebenszugewandtes, poetisches Kino, das von der politischen Aufbruchsstimmung der Dubček-Ära profitierte. Andreas Rauscher über die Protagonisten der »Nová Vlna«
Der Abbruch des Festivals von Cannes im Mai 1968 gehört zu den immer wieder gern berichteten Anekdoten aus den Erzählungen um die Nouvelle Vague. Jean-Luc Godard und François Truffaut stoppten mit vereinten Kräften aus Solidarität mit den streikenden Arbeitern und den aufflammenden Studentenprotesten das Programm. Den Großteil der am Festival beteiligten Regisseure, darunter Verbündete wie Alain Resnais und Claude Lelouch, brauchten sie nicht lange darum zu bitten, ihre Filme aus dem Wettbewerb zurückzuziehen. Notfalls wurden die Vorführungen unterbrochen, indem die Helden des französischen Autorenfilms persönlich den sich öffnenden Vorhang festhielten.
Einige der anwesenden Regisseure verfolgten das Schauspiel mit großer freundschaftlicher Sympathie, wenn auch mit leicht distanziertem Amüsement. Die tschechischen Regisseure Miloš Forman und Jan Němec erklärten sich zwar solidarisch mit ihren Kollegen. Aber zugleich verdeutlichte die Situation auch, dass die eng mit den künstlerischen Freiheiten und den Reformen des Prager Frühlings verbundene Neue Welle – Nová Vlna – in der Tschechoslowakei sich von der zu diesem Zeitpunkt bereits auseinanderbrechenden französischen Nouvelle Vague unterschied. Während sich letztere unter der strengen Schirmherrschaft des gerade zum Maoismus konvertierten Jean-Luc Godard zunehmend politisierte, suchte die Nová Vlna nach persönlichen, nicht durch staatlich verordnete Ästhetik gefilterten Blicken auf die Abenteuer des Alltags.
Gemeinsam mit der Wegbereiterin eines experimentellen feministischen Kinos Věra Chytilová, dem humoristischen Humanisten Jiří Menzel, dem Lyriker des sozialen Engagements Jaromil Jireš, dem zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Film-Philosophen Evald Schorm, der ebenso erfindungsreichen wie vielseitigen Autorin und Ausstatterin Ester Krumbachová und dem experimentierfreudigen Juraj Jakubisko bildeten Forman und Němec den Kern einer rund um die Prager Filmhochschule FAMU versammelten Clique von Filmemachern, die zwischen 1963 und 1968 die noch in den 1950er Jahren steckengebliebenen Barrandov-Studios neu belebten.
Miloš Forman, dessen subversive semi-dokumentarische Komödie »Der Feuerwehrball« (Hoŕí, má panenko, 1967) im Wettbewerb von Cannes vertreten war, erklärte in späteren Interviews, für ihn habe eine gewisse Ironie darin bestanden, dass sie in Cannes die rote Fahne ausrollten, während sie zu Hause in Prag gerade eingeholt wurde. In ihrer sonderbaren Mischung aus amüsanter Absurdität und selbstironischer Melancholie hätte die Situation auch aus einem seiner Filme stammen können. Jan Němec hatte sich ebenfalls dem Streik der Auteurs angeschlossen, wenn auch, seinen späteren Aussagen zufolge, nicht ganz freiwillig. Sein Freund Forman hatte vorsichtshalber seinen Film für ihn gleich ebenfalls mit zurückgezogen. Als Němec die Bühne betrat, wurde er, bevor er sich überhaupt äußern konnte, begeistert in der Gruppe der Streikenden willkommen geheißen.
In Cannes war Němec mit seiner am Theater des Absurden orientierten Satire Vom »Fest und den Gästen« (O slavnosti a hostech, 1966) vertreten. In seinem Film terrorisiert eine merkwürdige Festgesellschaft an ihrer mitten im Wald errichteten Tafel eine Gruppe zufällig hinzugekommener Gäste mit immer seltsameren Benimmregeln. Einige Funktionäre der Kommunistischen Partei fühlten sich nicht ganz unberechtigt angegriffen. Unschwer ließen sich »Der Feuerwehrball« und »Vom Fest und den Gästen« als anarchische Kritik an autoritären Strukturen deuten: Němecs psychotische Festgesellschaft lässt die Party von Lewis Carrolls verrücktem Hutmacher wie einen Teezirkel der reinen Vernunft erscheinen. Die Mitglieder von Formans Feuerwehr-Festkomitee bemerken hingegen vor lauter Organisationswahn erst gar nicht, wie ihre Tombolapreise vor ihren eigenen Augen lange vor Beginn der Verlosung abgeräumt werden. Ihre nach westlichem Vorbild einberufene Misswahl gerät zum erbärmlichen Altherrenwitz, und als tatsächlich im Lauf des Abends ein Feuer ausbricht, versäumen es die Feuerwehrleute nicht, vor dem brennenden Haus mit einer mobilen Minibar weiterhin Getränke zu verkaufen. Der gebeutelte Hausbesitzer bekommt zum Trost feierlich die Lose für die gestohlenen Preise überreicht.
Nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts am 21. August 1968 wurden »Der Feuerwehrball« und »Vom Fest und den Gästen« wie viele weitere Filme der Nová Vlna von den Spielplänen gestrichen. 1973 zählten sie zusammen mit Vojtěch Jasnýs elegischem Generationenporträt »Alle guten Landsleute« (Všichni dobří rodáci, 1968) und Evald Schorms »Das Ende eines Priesters« (Farářův konec, 1969) zu den vier Filmen, die verboten und somit erst nach der Samtenen Revolution von 1989 wieder in Tschechien und der Slowakei zu sehen waren.
Der britische Filmwissenschaftler Peter Hames, der mit seinem 1985 erschienen Standardwerk »The Czechoslovak New Wave« die Nová Vlna filmhistorisch grundlegend erfasste, sieht eine ihrer Besonderheiten darin, dass sie nicht nur länger anhielt als die anderen neuen Wellen der 1960er Jahre, sondern auch eine maßgeblichere Rolle in den sozialen Umbrüchen spielte. Ergänzen ließe sich, dass sie eine stilistische, thematische und formal-ästhetische Vielfalt hervorbrachte, die unter den anderen Wellen ihresgleichen sucht. Die Ausbildung an der FAMU, unter anderem bei dem 2011 im Alter von hundert Jahren verstorbenen, in allen Phasen der tschechischen Filmgeschichte aktiven Regisseur Otakar Vávra und dem Schriftsteller Milan Kundera, ermöglichte einen ausgeprägten Grad an Professionalität, wie er sich später unter den Filmhochschulabsolventen des New Hollywood findet. Die Lust am Ungewöhnlichen und Experimentellen steht hingegen der Kinobegeisterung und Entdeckungsfreude der frühen Nouvelle Vague in nichts nach.
Wie diese in Frankreich gegen das sterile Qualitätskino der 1950er Jahre ankämpfte, begehrte die Nová Vlna gegen die Stereotypen und weltfremden Bildschablonen des Sozialistischen Realismus auf. Auch wenn Forman, Němec, Chytilová und Menzel in ihren Arbeiten sehr unterschiedliche Wege einschlugen, waren sie sich darin einig, dass sie andere filmische Ausdrucksformen als die offizielle Staatskunst der 1950er Jahre erkunden wollten.
Durch regelmäßige Filmvorführungen an der FAMU waren sich die Protagonisten der Nová Vlna sowohl der Filmgeschichte als auch des zeitgenössischen Kinos der Moderne in den unterschiedlichsten Facetten bewusst. Parallel zu den Strömungen des internationalen Autorenkinos der 1960er Jahren entdeckten die Regisseure der Nová Vlna auch Traditionen des lyrischen tschechischen Films und der Prager Avantgarde der Zwischenkriegszeit neu. Der erst 1963 in der Tschechoslowakei rehabilitierte Kafka und die Stücke des absurden Theaters dienten ebenso wie das mit filmischen Elementen arbeitende Prager Theater der Laterna magica als Inspiration. Während heute die Bezeichnung ›kafkaesk‹ sich schon fast zu einem generischen Begriff entwickelt hat, nutzten die Regisseure Jan Schmidt und Pavel Juráček in »Joseph Kilian« (Postava k podpírání, 1963) die rehabilitierten Kafka-Bezüge für eine an die besten Arbeiten von Terry Gilliam erinnernde Groteske, in der ein immer verzweifelter agierender Protagonist vergeblich versucht, eine entliehene Katze zurückzugeben. Der skurrile Laden, aus dem er diese am Vortag mitnahm, ist spurlos verschwunden und der umfangreiche Katalog der Leihbedingungen sieht horrende Strafen für eine verspätete Rückgabe vor.
Peter Hames nennt zwei Pole der Nová Vlna, die in graduellen Abstufungen von den Regisseuren bespielt werden: einerseits eine Tendenz zur Fantastik und zum formalen Experiment und andererseits einen reflektierten, kritischen Realismus. Für letzteren Ansatz könnte einer der ersten prägenden Filme von Evald Schorm, »Mut für den Alltag« (Každý den odvahu, 1964), als Motto gelten. Die frühen Kurzfilme von Miloš Forman und Věra Chytilová greifen Techniken des Cinéma Vérité auf, um eine eigene Perspektive auf den Alltag zu etablieren, die zugleich fließend in inszenierte
Passagen übergeht. Chytilová, die früher selbst als Model gearbeitet hatte, begleitet in »Decke« (Strop, 1962) die Protagonistin bei Modeaufnahmen, beim Besuch eines Cafés mit ihren Freunden und Kollegen und schließlich nach einem konfliktbeladenen Treffen mit ihrem Partner auf einer Odyssee durch das nächtliche Prag. Stilistisch bewegt sie sich innerhalb des Kurzfilms von an die Nouvelle Vague erinnernden Momentaufnahmen des gewöhnlichen Lebens hin zu abstrakten urbanen Impressionen im Stil von Antonioni. Die unterschiedlichen Einflüsse verdichten sich zu einem filmischen Essay über die Inszenierung von Weiblichkeit im Prag der frühen 1960er Jahre. In ihrem ersten Langfilm »Von etwas anderem« (O něčem jiném, 1963) kombiniert Chytilová dokumentarische Aufnahmen vom Training der Profiturnerin Eva Bosáková mit dem fiktionalen Porträt einer Prager Hausfrau. Das feministische Potenzial ihrer Arbeit besteht gerade darin, dass sie genau beobachtet und keine eindeutige ideologische Wertung vorgibt.
Miloš Forman überschreitet die Ansätze des Cinéma Vérité hingegen hin zur »dokumentarischen Komödie« (Hans Jürgen Wulff). In »Wettbewerb« (Konkurs, 1963) filmt er einen inszenierten Talentwettbewerb, in dem die ungebremste Leidenschaft der Teilnehmer die offenkundigen Mängel ihrer Gesangsdarbietungen ausgleicht. Jan Vostrčil, den Dirigenten der in »Wenn’s keine Musikanten gäbe« (Kdyby ty muziky nebyly, 1963) dokumentierten Orchesterprobe, nahm er gleich als Schauspieler ins Ensemble seiner späteren Erfolge Der schwarze Peter (Černý Petr, 1963) und »Der Feuerwehrball« auf.
Das Prinzip, eine arrangierte Situation als Grundlage für mit dokumentarischer Präzision beobachteten Slapstick zu nutzen, setzt sich in Formans tschechischen Filmen fort. Kreative Unterstützung erhielt er bei der Konzeption und Umsetzung der Filme von Ivan Passer, der in seinem einfühlsamen Regiedebüt »Intime Beleuchtung« (Intimní osvětleni, 1965) den Gegensatz zwischen Stadt und Land, begleitet von der obligatorischen tschechischen Blasmusik, thematisierte, und Jaroslav Papoušek, der sich mit seinen in Tschechien ausgesprochen erfolgreichen Komödien um die Chaosfamilie Homolka als Spezialist für rustikale Komik erwies.
In »Der schwarze Peter« und »Die Liebe einer Blondine« (Lásky jedné plavovlásky, 1965) gilt die Sympathie Formans verträumten Außenseitern. Der als Detektiv in einem Laden eingesetzte Peter (Ladislav Jakim) verfolgt einen Dieb so ungeschickt und auffällig, bis sie einander minutenlang irritiert gegenüberstehen. Motiviert von romantischen Projektionen besucht die 17-jährige Andula (Hana Brejchová) in »Die Liebe einer Blondine« ihren neuen Freund, den sie auf einem eher frustrierenden Fest in der Provinz kennengelernt hat, in Prag. Dort angekommen, muss sie feststellen, dass der versierte Jazzpianist entgegen seinen Erzählungen unter der Fuchtel seiner strengen Eltern steht. Sie darf zwar in seinem Zimmer übernachten, aber er wird ins elterliche Bett abkommandiert.
Absurditäten des Alltags und die Abenteuer von Außenseitern, die es gar nicht erst darauf abgesehen haben, zu Helden der Arbeit zu werden, verbinden den um poetische Gerechtigkeit ringenden Realismus der Nová Vlna mit tschechischen Literaten der 1960er Jahre. Der Schriftsteller Bohumil Hrabal zählt neben Milan Kundera, dessen bitter-satirische Abrechnung mit dem Stalinismus der 1950er Jahre »Der Scherz« (Zert) Jaromil Jireš 1968 verfilmte, zu den wichtigsten literarischen Assoziierten der Neuen Welle. Hrabals Kurzgeschichten lieferten die Vorlage zum Episodenfilm »Perlen auf dem Meeresgrund« (Perličky na dně, 1965), den Jiří Menzel, Jan Němec, Evald Schorm, Věra Chytilová und Jaromil Jireš gemeinsam realisierten. Dieser kommt einem künstlerischen Manifest am nächsten und versammelt pointiert die unterschiedlichen Ansätze. Schorm lässt wie in einer performativen Übersteigerung der semi-dokumentarischen Tendenz einen exzentrischen Künstler, der Hrabal als Inspiration diente, als Laiendarsteller selbst auftreten und zwei Versicherungsvertreter in den Wahnsinn treiben. Jireš dekonstruiert in der Beziehung zwischen einem kinobegeisterten jungen Klempner und der selbstbewussten Cikánka, die behauptet, die Enkelin eines berühmten Zigeunerbarons zu sein, die Bedeutung von Stereotypen. Němec porträtiert zwei alternde, sich gegenseitig überbietende Geschichtenerzähler, und Menzel traf in der Darstellung einer skurrilen, auf Unfälle fixierten Gruppe von Rennsportfans derart genau den Tonfall Hrabals, dass sichdaraus eine langjährige Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller ergab. Gemeinsam verfassten sie das Drehbuch zu dem 1967 mit dem Oscar für den besten fremdsprachigen Film ausgezeichneten »Liebe nach Fahrplan« (Ostŕe sledované vlaky, 1966). Auf subtile Weise unterwandern die tragikomischen Erlebnisse des Bahnbediensteten Miloš Hrma (Václav Neckář), der während der deutschen Besatzung durch eine Kette unglücklicher Zufälle zum heldenhaften Märtyrer wider Willen wird, jegliches Pathos. Menzels einfühlsamer Blick vermeidet systematisch sowohl Zynismus als auch Sentimentalität.
Chytilovás Beitrag zu den »Perlen auf dem Meeresgrund« über die Begegnung zwischen einem auf Totenmasken spezialisierten Künstler und einer Braut, deren Bräutigam am Abend der Hochzeit von der Polizei verhaftet wurde, deutet hingegen jene poetischen filmischen Experimente an, die ihre späteren Arbeiten »Tausendschönchen – kein Märchen« (Sedmikrasky, 1966) und »Fruit of Paradise« (Ovoce stromů rajských jíme, 1970) auszeichnen. In einer lyrischen Zeitlupe eilen der Künstler und die Braut aus einer tristen Kneipe, die sich durch einen rätselhaften Selbstmord in eine existenzialistische Weltbühne verwandelt hat, in die Nacht hinaus.
Gemeinsam mit dem Allroundtalent Ester Krumbachová und dem Kameramann Jaroslav Kučera löst Chytilová in Tausendschönchen die Narration zu Gunsten eines in Form einer Farce vollzogenen philosophischen Spiels des Verderbens auf. Die kreative Destruktivität der von Laiendarstellerinnen verkörperten Protagonistinnen Marie 1 und Marie 2 nimmt die anarchische Produktivität des Punks um zehn Jahre vorweg. In einer Serie von Happenings tricksen diese in Slapstickeinlagen zudringliche alte Männer in einer Bahnhofsgaststätte aus, verwüsten ein opulentes Bankett und zerschneiden schließlich sogar das filmische Bild.
Entgegen einem weit verbreiteten Missverständnis der damaligen Kritik befördert der in »Tausendschönchen« zelebrierte experimentelle Formalismus der Nová Vlna gerade nicht eine unreflektierte Beliebigkeit, sondern fordert die aktive Beteiligung der Zuschauer heraus. Neben Jean-Luc Godards plakativen Attacken gegen Chytilová in seinem übereifrigen filmischen Besinnungsaufsatz »Prawda« (Pravda, 1970) zeigt sich diese Haltung vor allem in der vernichtenden Reaktion der Cahiers du cinéma auf »Diamanten der Nacht« (Démanty noci, 1964) von Jan Němec. Basierend auf der autobiografischen Vorlage des Holocaustüberlebenden Arnošt Lustig schildert der Film die Flucht zweier Häftlinge aus einem Transport der Nazis. Fragmentarische Rückblenden, Halluzinationen und widersprüchliche Handlungsverläufe ergänzen sich zu einem ebenso eindrucksvollen wie intensiven Psychogramm, das die filmische Sprache an die Grenze ihrer Auflösung treibt.
Es gehört zu den hervorstechenden Qualitäten der Nová Vlna, dass ihre formalen Grenzüberschreitungen nie zum ästhetizistischen Selbstzweck geraten, ebenso wie ihre Spielarten des Realismus entgegen plakativer Authentizitätsideale stets über ein reflektiertes filmisches Stilbewusstsein verfügen. Immer wieder finden sich weitere Perlen vom Meeresgrund der tschechischen und slowakischen Filmgeschichte wie das im Umfeld der Nová Vlna entstandene, 2017 mit fünfzig Jahren Verspätung auch in unsere Kinos gelangte Historiendrama »Marketa Lazarová« (1967) von František Vláčil.
In der bleiernen Zeit der Normalisierung nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts bot sich auch die Fantastik als subversiver Zufluchtsort an. Der 1970 von Jaromil Jireš und Ester Krumbachová konzipierte »Valerie – Eine Woche voller Wunder« (Valerie a týden divů) entwirft nach einer Vorlage des Surrealisten Vitězslav Nezval eines der nachhaltigsten Nachspiele der Nová Vlna. Die von Jaroslava Schallerová gespielte Protagonistin wird in der Woche ihres sexuellen Erwachens mit einem an den Grafen Orlock aus F. W. Murnaus »Nosferatu, eine Symphonie des Grauens« (1922) angelehnten Vampir, zudringlichen Missionaren und einer zunehmend abstrusen Familienbande konfrontiert, gegen die die Verwandtschaftsverhältnisse in George Lucas’ Weltraumsaga Star Wars geradezu übersichtlich erscheinen. Valerie inspirierte als anarchische ältere Schwester des alle Jahre wiederkehrenden Aschenputtels aus »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« (TŘi oŘíšky pro Popelku, 1973) sowohl die feministische Märchenrelektüre »Die Zeit der Wölfe« (1984) von Angela Carter und Neil Jordan als auch New-Wave-Bands, die den Film neu vertonten.
Die filmischen Wogen der Nová Vlna erreichten die unterschiedlichsten Ufer, von Miloš Formans Exil in (New) Hollywood mit den oscarprämierten Filmen »Einer flog über das Kuckucksnest« und »Amadeus« über Věra Chytilovás prägende feministische Pionierarbeit bis hin zu den verspätet gehobenen filmhistorischen Perlen »Marketa Lazarová und Valerie«. Von den verschiedenen neuen Wellen der 1960er Jahre war die Nová Vlna vielleicht nicht die prominenteste – sie war aber ohne Zweifel eine der vielseitigsten und schillerndsten.
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