Berlinale Classics: »Schwarzer Kies« (BRD 1961)
Was die Berlinale Classics angeht – quasi ein Restrospektiven-Special mit neu restaurierten bzw. rekonstuierten Filmklassikern: Bei »Canoa« war nicht nur der Regisseur aus Mexiko angereist, sondern auch der Leiter des mexikanischen Filminstituts und, aus den USA, der zuständige Herr vom Criterion-Label. Bei Helmut Käutners »Schwarzer Kies« von 1961 sprach, zumindest bei der zweiten Aufführung am Donnerstag Mittag, 19 Stunden nach der Premiere, niemand eine Einführung. Dabei ist Wiesbaden, Sitz der Friedrich Wilhelm Murnau-Stiftung, nicht so weit weg. Die Murnau-Stiftung ist Inhaberin der Rechte an den Ufa-Filmen, sie hat die Restaurierung verantwortet – und was hätte man alles über diesen Film sagen können! Allein, es war keiner da. Vielleicht ist dieser Umgang mit der Präsentation der eigenen Filme mit ein Grund dafür, dass es keine 100-Jahre-Ufa-Jubiläumsretrospektive gibt?
»Schwarzer Kies« wurde 1961 von der »jungen Filmkritik« als »schlechtester Film eines bekannten Regisseurs« gewählt; dieses Urteil ist inzwischen längst revidiert, war aber lange Jahre noch immer ein Grund, den Film nicht zu restaurieren, rekonstruieren, digitalisieren. Jetzt endlich hat man sich aufgerafft, dieses Meisterwerk des bundesrepublikanischen Kinos (und, in bestem Sinne: »Nachkriegskinos«) herauszubringen, und zwar in der Premierenfassung, die damals alsbald wegen Klagen des Zentralrats der Juden in Deutschland vom Ufa-Verleih zensiert wurde. Beanstandet wurden antisemitische Ausdrücke, die einige Figuren im Film äußern (»Saujud!«); klassisches Beispiel für die unheilvolle Verwechslung von Figurensprache und Aussage des Films/des Regisseurs. Antisemiten werden gezeigt, ja, und zwar in der deutlichen Absicht, ein krasses, sprich: realistisches Bild des Gemütszustandes der Deutschen 15 Jahre nach Kriegsende zu zeichnen. Ein krasses Bild, zu dem auch der erschütternde Schluss des Filmes gehört, der in der Verleihfassung ebenfalls abgeschwächt und nun wieder hergestellt wurde.
Der Film spielt in einem kleinen Hunsrückdorf, ursprünglich 261 Einwohner, wo jetzt eine US-Airbase steht und ausgebaut wird. 6.000 Soldaten plus weitere 3.000 Angehörige, ein kleines Dorf: Es sprießen Prostitution und Korruption, und das nicht einfach nur, weil die Amis Geld bringen, sondern, das wird immer wieder klar, weil die Deutschen darauf geeicht sind, opportunistisch ihren Vorteil zu suchen, alles zu tun und sich dann wegzuducken, Schuld auf sich zu laden und die dann locker vom Hocker wieder zu verdrängen. Die Alten sowieso, die Mitläufer (= Mittäter) unter Hitler; die Jungen aber auch, die von den Nachkriegsjahren darin geprägt sind, zu schieben und zu lavieren. Neidhardt ist die Hauptfigur, er wird mal phonetisch ins Deutsche übersetzt: »Nachtherz«. Er ist Kiesfahrer an der Airbase-Baustelle und vorne mit dabei bei nächtlichem Kiesklau, der an örtliche Bauunternehmen schwarz verhökert wird. Er trifft unversehens Inge wieder, seine alte Liebe, die mit ihrem Mann hierherziehen muss, der ist US-Offizier und Chef der Airbase. Neidhardt, dem nichts was anhaben kann und der sich um nichts außer sich kümmert, gesteht sich gar nicht erst ein, dass er bei Inge sein will, macht sie aber auf seine ruppig-zynische Art kräftig an. So ist sie auch mit dabei, als Neidhardt versehentlich bei einem seiner nächtlichen Fuhren einen GI mit dessen deutschen Freundin überfährt. Die Kiesgeschäfte müssen ebenso geschützt werden wie die Frau und letztlich Neidhardt selbst...
Käutner, der in den 1940ern gleich vier Meistewerke nacheinander vorgelegt hat, ist auch in diesem Film auf der Höhe seiner Kunst. Er schafft es, einen spannenden Thriller vorzulegen vor dem Hintergrund der BRD-Wirklichkeit, damit eine klare Analyse der Gesellschaft vorzulegen – und eben genau nicht im vielgehassten »Ufa-Stil«, der ab den 1960ern in der Folge von Joe Hembus und Oberhausen dem 50er-Jahre-Kino angehaftet wurde. Und der viel mehr bei Filmen sangwermal aus dem Gloria-Verleih zu finden war als in Produktionen der Ufa-Nachfolgefirmen... »Schwarzer Kies« war so ungefähr die letzte originäre Ufa-Produktion. 1962 wurde sie aufgelöst, Kinos und Musikrechte gingen beispielsweise an Bertelsmann, die Filmrechte ab 1966 an die Murnau-Stiftung. Und dort sollte man sich nach Kräften bemühen, all die guten Filme wieder ans Publikum zu bringen.
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