Sundance Film Festival 2023: Alte Hasen, junge Talente
»Passages« (2023) von Ira Sachs, mit Franz Rogowski
Das Sundance Film Festival im Januar ist das Jahresauftatkttreffen des amerikanischen und internationalen Independentfilms. Mit einer in diesem Jahr hervorragenden Qualität
An den Kinokassen mögen Arthouse- und Indiefilme dieser Tage einen einigermaßen schweren Stand haben, doch beim Sundance Film Festival, wo genau diese Art von Kino seit 1978 uneingeschränkt im Fokus steht, war in diesem Jahr davon wenig zu spüren. Zumindest was die Qualität der gezeigten Produktionen angeht, die für die Presse nicht nur vor Ort, sondern auch virtuell zu sehen waren, konnte von Krise keine Rede sein.
Die alten Hasen des US-amerikanischen Indie-Kinos etwa erwiesen sich als verlässlich gut in Form. Nicole Holofcener hat sich wieder mit der immer sehenswerten Julia Louis-Dreyfus zusammengetan und wandelt in »You Hurt My Feelings« auch sonst auf bewährten Pfaden. Die Beziehungs- und Ego-Sorgen der oberen weißen Mittelschicht hat sie in früheren Filmen schon mit mehr Fallhöhe unter die Lupe genommen, doch entlarvend-witzig ist ihre New Yorker Pärchen-Geschichte auch dieses Mal. Als charmante Feelgood-Tragikomödie entpuppte sich das Spielfilmdebüt von Dokumentar-Regisseur Roger Ross Williams, der in Cassandro mit einem bestens aufgelegten Gael GarcÍa Bernal die reale Lebensgeschichte eines schwulen, mexikanisch-stämmigen Wrestlers erzählt. Und auch »Passages«, der wie diverse Sundance-Titel in diesem Jahr anschließend zur Berlinale weiterzog, wusste zu überzeugen. Franz Rogowski spielt darin einen Regisseur, der seinen Lebensgefährten mit einer Frau betrügt, woraus Ira Sachs eine Geschichte über Liebe, Beziehungen und Egoismus spinnt, die er ungemein wahrhaftig und gleichermaßen feinsinnig wie emotional brutal sowie mit einer erstaunlich glaubwürdigen Sexszene angeht.
Besonders auffällig war aber auch, wie viele junge Regisseurinnen sich mit gelungenen Debüts für Größeres empfahlen. A. V. Rockwell etwa erhielt den Grand Jury Prize im US-Spielfilm-Wettbewerb für »A Thousand and One«, einem in den späten Neunzigern beginnenden Drama über eine junge Mutter in Harlem, die nach einem Gefängnisaufenthalt ihren kleinen Sohn aus dem Pflegesystem entführt. Starkes, emotionales, kraftvolles Independent-Kino, mit R&B-Sängerin Teyana Taylor in der Hauptrolle. Keinen Deut weniger preiswürdig waren Raven Jacksons »All Dirt Roads Taste of Salt«, die vielschichtige und poetische Lebensgeschichte einer schwarzen Frau in Mississippi, die sehr energiegeladene, leichtfüßige RomCom »Rye Lane« der Britin Raine Allen-Miller oder »Fancy Dance«, in dem die queere, indigene Regisseurin Erica Tremblay nicht nur von Familienbanden, sondern auch von Native-American-Alltagsrealitäten erzählt. Als unkonventioneller und sperriger und gerade deswegen sehenswert entpuppte sich die schwarze Komödie »Bad Behaviour«, die erste lange Regiearbeit von Alice Englert, die man sonst als Schauspielerin oder Tochter von Jane Campion (die hier einen Cameo-Auftritt hat) kennt.
Auch große Deals wurden beim Festival in diesem Jahr wieder gemacht. Zum Beispiel für »Fair Play« von Chloe Domont, ebenfalls ein Debüt. Im Stil eines 90er-Thrillers werden hier ins Taumeln geratende Macht- und Beziehungsdynamiken seziert: Emily (Phoebe Dynevor) und Luke (Alden Ehrenreich) arbeiten beim gleichen Hedge Fonds und sind heimlich ein Paar; dass sie dann befördert wird und er nicht, hat Konsequenzen. Die stattliche Höchstsumme von 20 Mio. Dollar legte übrigens kein Verleih auf den Tisch, sondern Netflix. Ein bisschen Kinokrise war dann also doch auch in Sundance zu spüren.
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