Kritik zu Umrika
Fernweh: Ein indischer Dorfbewohner geht auf die Suche nach seinem auf dem Weg nach Amerika verschollenem Bruder
Umrika ist der Hindi-Name für Amerika, jenes ferne und gelobte Land, aus dem märchenhafte Nachrichten in die abgelegenen Höhen eines indischen Bergdorfes dringen, von Straßen, die dicht gefüllt sind mit Menschen, von weiblichen Ringern und einem seltsamen Riesenvogel, der jedes Jahr vom Präsidenten persönlich vor dem Thanksgiving-Kochtopf errettet wird. Zu diesem magischen Ziel ist einst der große Bruder Udai aufgebrochen, auf den seither alle Hoffnungen und Träume der Daheimgebliebenen projiziert werden. Jede Nachricht von dort wird vom ganzen Dorf mit Erregung aufgenommen, löst wahre Volksfeststimmung aus, besonders in der Wahrnehmung des jüngeren Bruders Ramakant, der noch ein Kind war, als Udai ging. Suraj Sharma variiert hier die Gefühle von Staunen und Bangen, mit denen er bereits mit einem Tiger im kleinen Boot von Ang Lees »The Life of Pi« beeindruckte.
Nach seinem beschwingten Komödiendebüt »Delhi in a Day« erforscht Prashant Nair in seinem zweiten Film die Mechanismen der Emigration, die er in seinem eigenen rastlosen Leben zwischen Indien, der Schweiz, Österreich, Afrika und den USA, zuletzt Prag und Berlin selbst erlebt hat. Allerdings thematisiert er dabei weniger den konkreten Weg, als vielmehr die Projektion der Wünsche und Hoffnungen vor dem Aufbruch. Es geht also um den Mythos Amerika und die vielfachen Brechungen seiner Wirkung, um den Blick derer, die noch nie selbst dort waren, zusätzlich entrückt durch die Vergangenheit der 70er und 80er Jahre, in den Bildern einer 16mm-Kamera.
Nach dem überraschenden Unfalltod seines Vaters stellt sich heraus, dass die Briefe, die all die Jahre ins Dorf geschickt wurden, gar nicht von seinem Bruder stammten, dass sie vielmehr von seinem Vater gefälscht wurden, um die kummervolle Mutter zu trösten. Während er nun diese Aufgabe übernimmt, beschließt er zugleich auf die Suche nach dem verlorenen Bruder zu gehen, dessen Spuren sich schon bald nach dessen Ankunft in Mumbai verlieren.
In seiner unschuldigen Neugier und seinem entschlossenen Fleiß erinnert Ramakant ein wenig an Danny Boyles »Slumdog Millionär«, was noch verstärkt wird durch einen nachkommenden Freund aus der Heimat, in dem Tony Revolori die rührende Beflissenheit seines »Grand Budapest Hotel«-Pagen anklingen lässt. Im Kontrast zur ländlich ruhigen Welt zwischen den Wolken erscheint Mumbai als quirlige Metropole, in der bald ein düsterer, gefährlicher Ton des Verbrechens spürbar wird. Der staunende Blick des Landeis aus den Bergen von Jitvapur verzaubert die urbane Welt, lässt sie aber immer wieder auch furchterregend und überwältigend wirken. Statt die Ereignisse jedoch melodramatisch zuzuspitzen, gibt Nair ihnen die Zeit sich langsam zu entfalten, in kleinen Entdeckungen in der Fremde, in den sich offenbarenden Zusammenhängen und den feinen Nuancen des Spiels.
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