Kritik zu Song for Marion
Filme über das Alter liegen im Trend. Die Antwort darauf, warum sich ältere Kinogänger für die Thematisierung ihres Lebensabschnitts auf der Leinwand interessieren sollen, bleiben sie oft schuldig
Ein Blick in den Spiegel genügt. Arthur (Terence Stamp) gehört nicht dazu, nicht zu denen, die nur auf den Einsatz der Chorleiterin warten, um im Kreise gut gelaunter rüstiger Greise ihre Stimme zu erheben. Der verschlossene und grummelige Arthur steht, was das Soziale anbelangt, im Schatten seiner Frau Marion (Vanessa Redgrave), die, wiewohl schwer krebskrank, nie ihren Chor im Gemeindezentrum versäumen würde, auch wenn sie schon längst im Rollstuhl dorthingeschoben werden muss. Viel mehr scheint sich im bescheidenen Rentnerdasein der beiden nicht mehr zu ereignen, außer dass Arthur sich einmal in der Woche mit seinen Kumpels ein Bier genehmigt; mit seinem einzigen Sohn hat er sich noch nie verstanden. Song for Marion will auch ein Familienfilm über das in England weithin ausgelöschte Arbeitermilieu sein, ein Stück Nostalgie also, die sich bei Könnern wie Ken Loach oder Mike Leigh noch hautnah nacherleben lässt. Die Milieustudie will aber auch den beiden Hauptdarstellern nicht so recht von der Hand gehen.
Wenn Arthur den Blick über die Chorrunde schweifen lässt, hebt sich Marion sofort aus der Menge heraus. Die begnadete Schauspielerin Vanessa Redgrave hat sich die Rolle mit Haut und Haar angeeignet und überzieht nicht nur ein bisschen, wenn sie in die Rolle der »fidelen Alten« schlüpft, die nicht mehr lange zu leben hat. Regisseur Paul Andrew Williams sagt selbst, dass er seine erfahrenen Stars weitgehend sich selbst überlassen habe, hat er doch mit Filmvorgängern wie einem Thriller oder einer Horrorkomödie in anderen Genres geübt und ist bislang im bescheidenen Fernsehformat steckengeblieben. Es reicht aber nicht, sich auf die Erinnerung an die eigenen Großeltern zu berufen und sich letztlich als Trittbrettfahrer einem Trend anzuschließen, den ein Michael Haneke gerade mit großer Meisterschaft, aber auch mit ganz anderen Intentionen bedient hat.
Song for Marion soll ein Film übers Leben sein, ein Feelgoodmovie, ein Mutmacher. Wenn Marion sich in der Filmmitte von der Leinwand verabschiedet, überlässt sie das Ruder ihrem Mann Arthur, um den es hier eigentlich geht. Er ist in Wirklichkeit der depressive Patient, der die Chortherapie dringend nötig hätte. Wie aber sieht diese eigentlich aus? Ob sich ältere Menschen im Kino wirklich in gebatikten Einheits-T-Shirts wiedererkennen und sich mit Songs wie »Let’s Talk About Sex« die zweite Jugend vorgaukeln wollen? Das Augenzwinkern fehlt zwar nicht, zu größerem Tiefgang holt die sogenannte Tragikomödie jedoch nicht aus. Stattdessen ist eine muntere Chorleiterin zur Stelle, die offenbar den Ratgeber für das »Dritte Alter« studiert hat.
Das Filmrezept ist allzu klar und deutlichauf Verdrängung eines schwierigen Lebensabschnitts ausgelegt und beherzigt voll und ganz die jugendliche Devise »Yes, we can!« Es gab einmal eine Zeit, als das Thema unter der Überschrift »Der unwürdige Greis« oder »Die unwürdige Greisin« behandelt wurde. Da wurde noch ein Menschenbild mitgedacht, dass die heute im Mainstream fast untergegangene Alterswürde problematisierte. Terence Stamps Arthur erinnert mit seinen Alleingängen zumindest noch daran.
Kommentare
Song für Marion
Die Kritik ist zu herb, von einer zu klaren ideologischen Position her geschrieben. Kunst funktioniert anders. Als 75jähriger bin ich den Problemen näher als die Rezensentin. Die Vorstellung wie dieser Film beim deutschen Ö/R-Fernsehen ,gar bei den Privaten gemacht werden würde, möchte ich mir gar nicht gestatten. Die Qualitäten dieses Filmes: einmal die unglaublich lebendige Gemma Arterton als Musiklehrerin, selber in der Liebe unglücklich, aber welche Kraft und dann, dass man am Ende nicht in Kitsch abgleitet, wie beispielsweise eine Beziehung von Musiklehrerin und Sohn anzuspielen.
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