Kritik zu Simpel

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Herzzerreißend und brüllend komisch inszeniert Markus Goller die Geschichte über ein ungleiches Bruderpaar, das sich trennen muss und sich dabei doch nicht verliert

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Es ist schon rührend, wie dieser Junge da freudestrahlend mit seinem Stoffhasen in einer Zinkwanne durchs Watt zieht, eine Burger-King-Krone auf dem Kopf, bunte Moonboots an den Füßen, eine Unterhose und einen Parka am leicht gebeugten Körper. Wie brüchig dieses Glück ist, lässt sich erahnen, als sein Bruder Ben (Frederik Lau) auftaucht und sich kurz mit ihm im Watt wälzt. Im Hintergrund wartet ein alter Polizei-Bully, der die beiden wenig später nach Hause fährt, ein Zuhause in einer windschiefen Kate in der norddeutschen Einöde. Dort macht Ben seinem Bruder Spaghetti mit Tomatensoße, die dieser auf dem Tisch und seinem Schlafanzug verteilt, und er versorgt seine sterbenskranke Mutter. Wenig später ist sie tot und Ben steht mit seinem geistig zurückgebliebenen Bruder Simpel (David Kross), der eigentlich Barnabas heißt, allein da. Die Behörden meinen, Simpel muss in ein Heim, doch das lässt Ben nicht zu – und flüchtet mit ihm nach Hamburg, um ein Abenteuer zu erleben, wie er Simpel erzählt, doch eigentlich um den Vater (Devid Striesow) zu suchen, der die Familie schon vor Jahren gegen eine neue eingetauscht hat.

Dass es einfachere Arten gibt, mit einem Behinderten zu reisen, als das Trampen, merkt wenig später Aria (Emilia Schüle) an, die die beiden an einer Tankstelle aufgabelt. Wohl wahr. Dass Simpel ja nur geistig behindert ist und klasse laufen kann, wie Ben erwidert, auch. Reichlich Probleme gibt es trotzdem. Ben macht zwar den Vater ausfindig, doch genau der war es, der als Sorge­berechtigter der Heimeinweisung zugestimmt hat. Währenddessen fackelt Simpel fast Arias Wohnung ab, bändelt mit einer Prostituierten an einer Bushaltestelle an, legt sich mit den Zuhältern an und geht auf einer U-Bahnfahrt verloren.

Markus Goller hat den gleichnamigen Jugendroman der Französin Marie-Aude Murail als bewegende Tragikomödie inszeniert, die alle Fragen von Verantwortung, Pflichtgefühl, Familie und Freundschaft aufgreift. Denn natürlich ist Ben mit der Betreuung seines Bruders völlig überfordert und vergisst darüber sein eigenes Leben. Ob er arbeitet oder eine Ausbildung macht, bleibt im Dunkeln. Dass er keine Freunde und eben auch keine Freundin hat, muss nicht erst der freundliche Dorfpolizist erwähnen. Sein Unsympath von Vater, der um sein beschauliches Familienglück im Vorstadthäuschen fürchtet, sagt ihm das ebenso wie Avia, zu der sich zarte Bande entwickeln. Und da ist noch der Sanitäter Enzo (Axel Stein), ein Freund und Kollege Avias, der sich einfühlsam um Simpel kümmert.

Das alles kommt natürlich nicht ohne eine gewisse Behindertenromantik und das eine oder andere Klischee aus. Simpels liebenswerte Kindlichkeit entwaffnet und führt zu urkomischen und rührenden Situationen, etwa wenn er, stets mit seinem Stofftier ­Hasehase im Schlepptau, auf einem Spielplatz ein behindertes Mädchen trifft und sich mit ihm anfreundet. Aber auch das liebevolle, fast allzu aufopfernde Kümmern Bens zerreißt einem so manches Mal das Herz. Ein Film, der viele menschliche Gefühle anspricht und daher berührt.

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