Kritik zu Mitternachtskinder

© Concorde

2012
Original-Titel: 
Midnight‘s Children
Filmstart in Deutschland: 
28.03.2013
L: 
146 Min
FSK: 
12

Die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Salman Rushdie, der dafür 1981 den renommierten Booker Prize erhielt. Eine Coming-of-Age Geschichte, eingebettet in ein Jahrhundert indischer Geschichte

Bewertung: 3
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Wenn ein muslimischer Mann vor hundert Jahren auf Brautschau ging und zudem Arzt war, geschahen merkwürdige Dinge. Er kam zwar in den Ausnahmegenuss, dass er seine Zukünftige mittels fünfzehn Zentimenter großer kreisrunder Ausschnitte, die in ein Leintuch geschnitten waren, Stück für Stück abtasten, vielleicht zuletzt von Angesicht zu Angesicht zu sehen bekam, war aber nicht davor gefeit, dass diese in der Hochzeitsnacht mit der Bemerkung: »I’m not the moving type« fluchtartig aus dem Ehebett springt. Der Titel Mitternachtskinder rührt allerdings nicht von diesen absurd-komischen Vorgängen her, sondern bezieht sich auf die Generation der Enkel aus dieser Verbindung und meint alle am 15. August 1947 um Mitternacht, dem exakten Zeitpunkt des Beginns von Indiens Unabhängigkeit, in die Welt geschlitterten Wesen. 581 Kinder, die mit besonderen Gaben ausgestattet sind. Auserwählte. Im Mittelpunkt der Erzählung stehen jedoch die beiden Jungen Saleem und Shiva, die von einer Krankenschwester mit revolutionärem Verve gleich nach der Geburt in einer Klinik in Bombay vertauscht wurden. Aus Liebe zu einem Revolutionär folgte sie dessen Devise »Aus arm wird reich, aus reich wird arm« – ein Akt von Klassenjustiz, den die treue Seele, die als Saleems Kindermädchen fortan zur Zeugin der Folgen verdammt ist, noch bitter bereuen wird.

Saleem und Shiva heißt das Gegensatzpaar, das die Geschichte fortan in Atem hält, zusammen ergänzen sie sich in Geist und Körper, voneinander getrennt sind sie jedoch zu ewiger Konkurrenz und Feindschaft verdammt. Dabei besitzt Saleem als Einziger die Gabe der Telepathie, mit der er die Mitternachtskinder um sich versammeln, sie sichtbar werden lassen kann. Damit wäre das kunterbunte Freundes- und Beratergremium von Buch wie Film auf dem Tisch, das wie ein Geschenk der Unabhängigkeit und der unbegrenzten Entfaltung erscheint, wäre da nicht die unselige Teilung des indischen Subkontinents mit ihren religiösen Folgekriegen und weiteren Spaltungen. Die große Geschichte und die kleinen Geschichten gehen stets Hand in Hand, so hat es der studierte Historiker Salman Rushdie gewollt – für einen Film kein leichtes Unterfangen.

Rushdie hat seinen um sechshundert Seiten langen Roman selbst auf Drehbuchlänge gestutzt, die Vorgeschichte minimiert und überlässt die Zuschauer, die drei Generationswechsel zu verkraften haben, mehr oder weniger ihrem Schicksal. Im Nu sitzen drei wohlgestalte Töchter im Hochzeitsalter auf dem elterlichen Sofa, deren Kinder dann diejenigen sein werden, die sich so richtig mit der tragischen indisch-pakistanischen Geschichte herumzuschlagen haben. Saleem mit der triefenden Langnase, die er von seinem englischen (!) Vater geerbt zu haben scheint (die sogar einmal operiert und verkürzt wird), bleibt zwar Erzählmittelpunkt, die geschmeidigen Übergänge oder auch Verständnishilfen vermisst man trotzdem, wenn man sich auch allzu gern von der orientalischen Farbenpracht der darin versierten Regisseurin Deepa Mehta überwältigen und vom Schabernack und Überraschungspotenzial der pikaresken Erzählung zum Narren halten lässt. Deutlich wird bei alledem, dass Salman Rushdie, der sich gelegentlich (leider nicht genug) als Off-Erzähler einschaltet, seinen quasi heimatlosen Protagonisten den gesamten Subkontinent durchwandern lässt und ihm auch noch einen Tauschbruder andichtet, auf eine Art von Allegorie über Heimat und Herkunft hinaus will. Ein homogener orientalischer Erzählkosmos, in den man genüsslich eintauchen und mit neuen Erkenntnissen wieder auftauchen könnte, entwickelt sich im Film dennoch nicht. Salman Rushdie gelang mit diesem, seinem zweiten Roman, der literarische Durchbruch in der anglo-amerikanischen Welt, in der Welt des Films kann er mit diesem Buch vorerst nicht restlos überzeugen. Deepa Mehta gelingt es wiederum nicht, ihre Figuren aus dem Sog der Ereignisse herauszuheben und ihnen die nötige Tiefe einzuhauchen, um ihre Schicksale glaubwürdig und nacherlebbar zu machen. Dennoch bietet Mitternachtskinder in großen Teilen unterhaltsames und pointenreiches Kino mit einer Prise Bollywood.

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