Kritik zu Lola
In Andrew Legges Low-Budget-Retro-Sci-Fi erfinden zwei Schwestern Anfang der 40er Jahre eine Maschine, die Radio- und Fernsehsendungen aus der Zukunft empfangen kann
Wie ein Alien erscheint David Bowie in den grobkörnigen Bildern auf dem Bildschirm der Zeitmaschine, eine geheimnisvolle Erscheinung, eine außerirdisch klingende Stimme aus der Zukunft des Jahres 1969. So platzt er mitten hinein in die frühen 40er Jahre in England, in das alte verfallene Landhaus, das die beiden Schwestern Thomasin und Martha Hanbury, die sich Thom und Mars nennen, von ihren früh verstorbenen Eltern geerbt haben: »Ground control to Major Tom . . .« Thom (Emma Appleton) und Mars (Stefanie Martini) leben ein bisschen so wie ein Pippi-Langstrumpf-Duo, pfiffig und eigenwillig, erfinderisch und anarchistisch, ohne Erwachsene, die sich um sie kümmern oder sie reglementieren, und auch sie reiten auf dem Pferd durchs Haus.
Thom hat diese geniale Maschine zusammengetüftelt, mit der die Hansbury-Schwestern Radio- und Fernsehberichte aus der Zukunft empfangen können. Benannt haben sie die Wundermaschine nach ihrer Mutter Lola, mit einem gewissen Augenzwinkern zu den berühmten Lolas der Filmgeschichte, wie überhaupt immer wieder kleine Zitate und Hommagen ins Geflecht des Films eingewoben sind, zu Filmen wie »Back to the Future« von Robert Zemeckis oder Kevin Brownlows »It happened here«.
Der Blick in die Zukunft ist für die beiden zunächst ein gewitztes Spiel mit Popkultur und Zeitgeschichte: Wie wirken David Bowie, Bob Dylan und die Kinks, wenn sie aus ihrer Zeit gefallen sind? In einer wunderbaren Szene singt Martha »You Really Got Me« und reißt das verwunderte Barpublikum, nach kurzer Irritation über die neuartigen Klänge, in ekstatische Tanzrhythmen hinein. Sie nehmen Ideen und Sprachwendungen aus der Zukunft auf, überraschen ihre Zeitgenossen mit Worten wie »cool«, mit progressiven Ansichten zur amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und ihrem Wissen von der Mondlandung. Doch aus dem Spiel wird bald Ernst, schließlich befindet sich Großbritannien im Krieg gegen Hitler-Deutschland, Nachrichten über den Kriegsverlauf sind wertvolle Informationen, die strategische Vorteile verschaffen. So werden aus den beiden Frauen Geheimagentinnen, die Informationen an die britische Regierung liefern. Und dann passiert ein Fehler und sie werden von Heldinnen zu Verräterinnen, denen die Todesstrafe droht, alles in rasender Geschwindigkeit.
Sein Spielfilmdebüt hat Andrew Legge mit Mini-Budget schon vor zwei Jahren unter den Einschränkungen des Corona-Lockdowns im Stil eines Found-Footage-Films gedreht, mit viel Fantasie und sprühenden Ideen. So wirken Thom und Mars ein wenig wie Absplitterungen des Filmemachers, quasi seine Schwestern im Geiste, und der Film nimmt die Form ihres hyperaktiven Brainstormings an. Mit schnittiger Kurzhaarfrisur und androgyner Kleidung, weißer Bluse mit schwarzer Hose wirkt Thomasin (Emma Appleton) in der Welt der 40er Jahre auf eine Weise modern, die damit zu tun hat, dass das Wissen um die Zukunft nicht nur die Welt, sondern auch sie selbst verändert. Die mit alten Kameras im Stil von Home Movies gedrehten Bilder erscheinen flirrend, flüchtig und sprunghaft, und immer wieder werden sie mit historischen Archivbildern versetzt, die die Science-Fiction in der Historie verankern. Die fiktiven Schwestern wiederum sind inspiriert von den realen Mitford Sisters, und wie jene driften auch sie politisch auseinander: Während sich Thomasin von den Nazis vereinnahmen lässt, ist Martha eher den Kommunisten zugetan.
Die verspielte Experimentierlust kollidiert mit den harten Realitäten des Krieges und mit den Regeln der Zeitreise, denn jede Veränderung im Lauf der Zeit zieht unkontrollierbare Folgen nach sich. So stellt Mars zu ihrem Entsetzen irgendwann fest, dass statt David Bowie ein bizarrer Nazipop-Barde Karriere macht.
Kommentare
Kommentar zu Anke Sterneborgs Kritik
Die Autorin attestiert dem Film eine Pippi-Langstrumpf-Komponente. Diese These liegt nahe, doch erscheint sie mehr als zweifelhaft. Während Astrid Lindgreens Titelheldin tatsächlich eine bunte, fröhliche und freundliche Welt anstrebte, verpulvern sich die Lola-Schwestern in egomanischen Psychokämpfen.
Wir erleben mit LOLA eine sperrige Abfolge zwischenmenschlicher Fehlstellungen. Insgesamt bleibt Andrew Legges Film der Versuch uns einen vermeintlich sicheren und befriedigenden Verbleib in der Gegenwart streitig zu machen.
Noch weniger ist er die ethische Alphabetisierung, für die Legge uns sein Werk unterbreiten will. Dafür überzeugt LOLA zu wenig darin, die nur schwer definierbare Variable 'Zeitgeist' in eine griffige Form bringen.
Dennoch besticht LOLA mit seinen originellen, kompromisslosen Wagnisvarianten.
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