Kritik zu Im Nachtlicht

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Eine junge Frau gerät ins Zentrum einer unheimlichen Verschwörung: Misha L. Kreuz unterfüttert die Muster des Genrefilms mit einem klaren Blick für die realen Gewaltverhältnisse in der Gesellschaft

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Bei einem ihrer einsamen Spaziergänge findet Minthe am Strand eine Puppe. Sie hebt das von der Flut angespülte Plastikbaby wie in Trance auf und geht ziellos weiter. Nach ein paar Schritten gleitet ihr die Puppe aus der Hand und landet wieder im Sand. Minthe setzt ihren Weg fort, ohne weiter an die Puppe zu denken. Viel später wird eben diese Babypuppe noch einmal kurz zu sehen sein, allerdings nur in Video­bildern, die über einen Fernseher in einer mit Müll übersäten Wohnung flackern. Diese kurze Szene am Strand und ihr spätes Echo sind eigentlich kaum der Erwähnung wert. Sie wirken eher wie Fremdkörper in »Im Nachtlicht«, dem Kinodebüt des Drehbuchautors und Regisseurs Misha L. Kreuz. Aber darin liegt zugleich ihr Reiz.

Jahrelang ist die in Heimen und bei Pflegeeltern aufgewachsene Minthe vor ihrer Vergangenheit weggelaufen. Nie hat sie es lange an einem Ort oder in einem Job ausgehalten. Auch ihr Architekturstudium hat die ausgebildete Schreinerin irgendwann aufgegeben. Doch nun bleibt ihr nichts anderes übrig, als an den Ort ihrer Geburt, die Kleinstadt Hellheim, zurückzukehren. Nachdem sie ihre Wohnung und ihren Gelegenheitsjob verloren hat, muss sie das Angebot, eine denkmalgeschützte Mühle zu renovieren, annehmen und sich gleichzeitig ihren Alpträumen und düsteren Ahnungen stellen.

Eine im Genrekino geradezu klassisch anmutende Konstellation, die eine perfekt arbeitende Dramaturgiemaschinerie andeutet, die Misha L. Kreuz auch immer wieder bedient. Natürlich ist der Auftrag, den Minthe erhält, eine Falle, und natürlich erweisen sich die Stützen der Provinzgesellschaft als willfährige Handlanger eines seit Ewigkeiten die Welt und die Menschen heimsuchenden Monsters. Aber Szenen wie die am Strand oder eine immer mal wieder aufblitzende Nebenhandlung um eine Mordserie, der gewalttätige Männer zum Opfer fallen, wirken gleichsam wie Sand im Getriebe dieses Horrorszenarios. Sand, den Kreuz ganz bewusst in die von ihm konstruierte Maschinerie streut. Er bringt sie ins Stottern und setzt so auf Subversion.

Kreuz untergräbt die Konventionen des Genres. Die Erzählung vollzieht zwar einen großen Bogen – während Minthe lange Zeit Erinnerungen an die weiblichen Figuren des frühen expressionistischen Horrorkinos weckt, kommt sie schließlich im Zeitalter der starken, sich von ihren Peinigern befreienden final girls an. Aber es sind die Brüche, die nachwirken. All die kleinen Momente, in denen Kreuz eine Gesellschaft zeigt, in der Gewalt gegen Frauen, physische wie psychische, die Norm ist und kaum jemand versucht, etwas an den Verhältnissen zu ändern. Bis auf ein paar Außenseiter haben sich alle damit abgefunden. Und diese Außenseiter, Figuren wie eine junge Streifenpolizistin, die nur in einer einzigen Szene des Films auftritt, stehen auf verlorenem Posten. Die Hoffnung, die immer auch Teil des Horrorgenres ist, hat wie der Glaube, dass sich mit dem Monster auch das Böse bezwingen lässt, in der Regel etwas Beschwichtigendes. Doch davon kann in »Im Nachtlicht« keine Rede sein.

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