Kritik zu Hinter guten Türen

© Mindjazz Pictures

2024
Original-Titel: 
Hinter guten Türen
Filmstart in Deutschland: 
30.05.2024
L: 
79 Min
FSK: 
12

Behutsam tastende und doch brutale Aufarbeitung einer Kindheit im Wirtschaftswunder-Deutschland, die allen Beteiligten wehtut, auch den Zuschauenden

Bewertung: 4
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Ein Fest in einer Seniorenresidenz. Das Motto: Südsee. Eine Tochter tanzt mit ihrer Mutter. Ihr Umgang ist behutsam, zärtlich. Beide scheinen die gemeinsame Zeit zu genießen. Sie tanzen, essen, plauschen und lachen miteinander. Zweimal pro Woche besucht die Tochter ihre Mutter im Heim, die von den anderen Bewohner*innen darum beneidet wird. Ob die Tochter um diese Mutter beneidet werden muss, stellt der Film infrage.

Bei der Tochter handelt es sich um Filmemacherin Julia Beerhold, die früh ihr Elternhaus verließ. Möglichst weit wollte sie weg, landete nach Umwegen über Malaysia und Chile in Madrid und ist heute als Schauspielerin für Fernsehserien und -filme und als Musikerin etabliert. Ihr dokumentarisches Langfilmdebüt »Hinter guten Türen« ist nun der Versuch einer autobiografischen filmischen Aufarbeitung ihrer Kindheit im westdeutschen Wirtschaftswunderland der 1960er Jahre: Ein schicker Bungalow, der gepflegte Garten, ein goldener Mercedes – die Beerholds waren gut situiert. Julia und ihr älterer Bruder kamen erst nach 14 Jahren Ehe als langersehnte Wunschkinder. Sie werden materiell umsorgt, in ihren Neigungen und Fähigkeiten individuell gefördert. Aber da ist auch die andere Seite, an die sich Film und Regisseurin langsam herantasten: emotionale Kälte, Distanz, Gewalt. Beide Geschwister wurden regelmäßig geschlagen: mal ins Gesicht, mal mit der Reitgerte auf den nackten Po. Meist, weil sie den strengen Regeln nicht genügten, teilweise für sie ohne nachvollziehbaren Grund. Der Vater schlug im Affekt, die Mutter bestellte sie zur Tracht Prügel ins Bad.

Julia Beerhold macht es sich nicht leicht, das ist ihr anzusehen, denn sie begibt sich selbst vor die Kamera und lässt die Einstellungen auch in unangenehmen Situationen stehen. Narrativ tastet sie sich zaghaft vor. In Gesprächen mit ihrer Mutter – die zuhört, aushält, aber auch relativiert – und ihrem Bruder, zu dem sie zwar Kontakt, aber nie ein inniges Verhältnis hatte. Sie durchforstet Kartons im leerstehenden Elternhaus genauso wie ihre Erinnerungen. Als Archiv dienen ihr Super-8-Aufnahmen, Fotografien und alte Tagebücher. Film- und Bildaufnahmen lassen erahnen, was Beerhold so lange gequält hat. Es gibt Fotos, die sie als Kind unmittelbar nach den beschriebenen Eruptionen schwarzer Pädagogik zeigen: hilflos, das Gesicht von Tränen verquollen, daneben die lachenden Eltern. Heute unerträglich, damals vielleicht eher die Regel als eine Ausnahme.

Eine Anklage ist der Film dennoch nicht, sondern der Versuch, zu verstehen. Ihre subjektive Perspektive thematisiert die Filmemacherin mehrfach, hinterfragt die Entscheidung, ihre Familiengeschichte öffentlich auszustellen. Immer wieder klopft sie die eigenen Erinnerungen auf ihre Plausibilität ab, gibt zu, ihre Eltern noch immer zu lieben, und offenbart, wie sie selbst früh gewalttätig wurde. Ihr Film gibt keine abschließenden Antworten, zeigt aber auf, wie fragmentiert, selektiv, brüchig und auch trügerisch Erinnerungen sein können. Und wie unterschiedlich Menschen mit erlittenen Traumata zurechtkommen, sie aufarbeiten oder ihr Leben lang verdrängen.

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