Kritik zu Dredd
Der zweite Leinwandauftritt des humorlosen Endzeit-Cops erweist sich als innovative 3D-Stilübung mit spektakulärem Look und Tendenz zur Abstraktion
Die wichtigste Nachricht vorweg: Mit der missglückten Adaption aus dem Jahr 1995 verbindet diesen »Dredd« trotz gemeinsamer Comicvorlage so gut wie nichts. Die neue Version ist eher mit Genrekleinoden wie »28 Tage später« oder »District 9« verwandt als mit dem testosteronstrotzenden Zynismus des Stallone- Vehikels. Auch mit Hollywoods aktuellen Comic-Verfilmungen hat »Dredd« wenig gemein: Wo diese mit Aufwand und Bombast zu beeindrucken suchen, setzt er auf düsteren Minimalismus. Dass der Film irgendwie an das Kino von Danny Boyle erinnert, ist kein Zufall: Hinter »Dredd« stecken mit Produzent Andrew MacDonald, Autor Alex Garland und Kameramann Anthony Dod Mantle drei langjährige Mitarbeiter Boyles. Regisseur Pete Travis, mit »8 Blickwinkel« und »Endgame« zuvor nicht sonderlich aufgefallen, fügt sich in dieses Team unmerklich, aber effektiv ein.
»Dredd« setzt von Anfang an auf Reduktion und Beschränkung – nicht zuletzt die logische Folge eines vergleichsweise niedrigen Budgets. Die futuristische Endzeit-Megacity zeigt der Film eingangs kurz aus der Luft; nur eine Verfolgungsjagd später sind Dredd (Karl Urban) und seine Rookie-Partnerin Anderson (Olivia Thirlby) auch schon in jenem Skyscraper angekommen, in dem sich der Rest der Handlung abspielen wird: einem 200 Stockwerke hohen Wohnblock namens Peach Trees. Dort regiert die gar nicht mütterliche Drogenproduzentin Ma-Ma (herrlich widerlich: Lena Headey), die das Gebäude kurzerhand abriegeln lässt, als die beiden Gesetzeshüter einen ihrer Schergen festnehmen. Daraus ergibt sich ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem die Cops abwechselnd Jäger und Gejagte sind.
Ein simpler, überschaubarer Plot also, der genretypische Motive von Klaustrophobie und Belagerung mischt, in seinen Gewaltszenen sehr drastisch daherkommt und für Charakterzeichnung wenig Zeit hat. Selbst Dredds reaktionäre Rolle als Polizist, Richter und Henker in Personalunion ist kaum Thema: Einmal gefangen wie die Sheriffs in »Rio Bravo« oder Bruce Willis in »Stirb langsam«, spielt seine fragwürdige Profession kaum eine Rolle; er ist letztlich ein ganz normaler Cop, der um sein Leben kämpft und dabei lakonische Sprüche macht.
Was der Story an Tiefgang fehlt, gleichen die Bilder durch räumliche Tiefe aus. Dod Mantles Kamera erzeugt ein buchstäblich dreidimensionales Gefühl, das in dieser sinnlichen Unmittelbarkeit bislang kaum zu sehen war. Ohne Gimmicks vorzuführen, gestaltet er jede einzelne Einstellung als faszinierendes Wechselspiel zwischen Vorder-, Mittel- und Hintergrund. So entsteht ein neuartiger Kinoraum, dem eine faszinierende Künstlichkeit eignet. Deren Höhepunkt ist die Darstellung des »Slo-Mo«, einer crackähnlichen Droge, deren Wirkung die Zeiterfahrung radikal verändert. Alles scheint hundertmal langsamer zu geschehen als in Wirklichkeit, was der Film in gestochener Schärfe und mit exotisch anmutenden visuellen Arrangements zelebriert, die eher an Kunstinstallationen erinnern als an zweidimensionale Filmbilder. Das Resultat ist ein wundersamer digitaler Bastard aus Action und Abstraktion, Trash und Traum, Pulp und purer visueller Magie.
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