Kritik zu Billie – Legende des Jazz

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Voller Respekt nähert sich James Erskine in seinem Dokumentarfilm der legendären Jazzsängerin Billie Holiday, setzt dabei allerdings auf einen etwas fragwürdigen dramaturgischen Kniff

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Es gehört unweigerlich zu der Legendenbildung von Biografien erfolgreicher, genialischer Künstlerinnen, die einen frühen Tod fanden: Ihr Leben war zu exzessiv, von zu vielen Höhen und Tiefen geprägt, um ein hohes Lebensalter zu erreichen. Billie Holiday starb 1959 mit nur 44 Jahren an Leberzirrhose, pleite, von Drogen zerstört, von Polizisten bewacht – als eine der größten Jazzsängerinnen aller Zeiten.

Der britische Regisseur James Erskine versucht diesem Leben auf den Grund zu gehen, dem Menschen Billie Holiday nahezukommen mit aufwendig restauriertem Archivmaterial, bislang unveröffentlichten Tonbandaufnahmen der Journalistin Linda Lipnack Kuehl und Aufzeichnungen von Bühnenauftritten. Er schafft so ein eindrückliches Zeitdokument, aber die eigenwillige, unergründliche und selbstzerstörerische Holiday bleibt dennoch auf Distanz.

Das ist dem Filmemacher nicht anzulasten. Vielmehr war die 1915 in Philadelphia geborene Holiday für sich und andere stets ein Mysterium. Schon als Kind missbraucht, später von Männern und Bossen benutzt, verletzt, betrogen. Es gelingt Erskine, sich nicht nur auf die Abgründe, sondern auf ihr unglaubliches Talent zu konzentrieren. Immer wieder musste Holiday Demütigungen erfahren und ließ sich doch nie einschüchtern. Zeitlebens litt sie unter der Diskriminierung, die sie in ihren Songs immer wieder thematisierte, zum ersten Mal 1939 mit »Strange Fruit«, der zur Hymne der schwarzen Bürgerrechtsbewegung wurde.

Etwa 125 Tonbänder mit 200 Stunden Interviewmaterial, das die Journalistin Lipnack Kuehl in den 1970er-Jahren aufgezeichnet hatte, hat Erskine ausgewertet, lässt diese als Voiceover über die Zeitdokumente einspielen. Da kommen der Sänger und Freund Tony Bennett, ihr Entdecker und Musikproduzent John Hammond, Weggefährten, Liebhaber, Musiker, FBI-Agenten, Drogendealer und Zuhälter zu Wort. Da kann man als unbeleckter Zuschauer schnell mal den Überblick verlieren, und doch fügt sich das alles zu einem harmonischen Gesamtbild zusammen – auch filmisch. Denn Erskine ließ zahlreiche Schwarz-Weiß-Aufnahmen kolorieren und taucht damit das Leben Billie Holidays in die knalligsten Farben, lässt ihre Diamanten aufregend funkeln, die tiefe Trauer und Verletzlichkeit in ihrem Gesicht augenscheinlich werden.

Neben den Zeitzeugen Holidays flechtet er Interviews mit Familienmitgliedern der Journalistin Lipnack Kuehl ein. Fast eine Dekade hatte sie an einer Biografie über die Jazzsängerin gearbeitet und war dann 1978 unter mysteriösen Umständen gestorben. Ihre Leiche wurde auf der Straße in Washington gefunden. Die Interviews legen nahe, dass sie möglicherweise ermordet wurde. Zu nahe sei sie den Menschen gekommen, die auch zu dem Untergang Holidays beigetragen hatten. Damit zieht Erskine völlig unangemessene Parallelen und versucht noch dazu, sowohl aus dem Tod Holidays als auch aus dem der Journalistin eine Kriminalgeschichte zu stricken. Dabei braucht das Leben und Wirken Billie Holidays gar keine zusätzliche Dramatisierung, das genau belegt auch diese fesselnde Dokumentation.

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