Retrospektive: »Billy the Kid« (1930)
Konfrontation der schottischen Siedler mit dem mächtigen Donovan und seinen wilden Männern. Einer wird beschuldigt, zieht den Colt, ein Schuss – und er bricht zusammen. Der Schütze war, gestatten: William Bonney aka Billy the Kid. Ein großgewachsener, gut aussehender Mann mit stetigem Lächeln im Gesicht, ein so netter junger Mann, mit großem Gerechtigkeitssinn und schnell an der Waffe…
»Billy the Kid«, King Vidors Western von 1930, wird eingeleitet von einem Grußwort des Gouverneurs von New Mexiko: Trotz einiger kleinerer Abweichungen sei der folgende Film eine ganz akkurate Beschreibung der Geschichte um diesen großen Sohn des Staates New Mexiko – so wird der Film staatlicherseits autorisiert, authentifiziert und verifiziert und schert sich im Folgenden einen Dreck um die Fakten, um den Mythos festzuschreiben. »Hi Ho« singt der Cowboy hoch zu Ross, und »Hi Ho« singen die Siedler zum Pianospiel, und während dieses Gesangs verlässt Billy das Haus, um seinen Geschäften nachzugehen, ein Revolverheld hat es auf den Siedlerboss Tunston abgesehen. Alle geben Billy ein Alibi.
Billy und die Siedler gegen den Rinderbaron, Sheriff, Notar und Postmeister Donovan, der die ganze Gegend in Besitz hat: Das ist der Lincoln County War, nur 50 Jahre her ist das zum Zeitpunkt der Dreharbeiten und doch so weit, dass alles so erzählt werden kann, wie man will. Billy ist so freundlich und zuvorkommend wie die Männer im Osten, sagt Claire, die Verlobte von Tunston, nur hat Billy zusätzlich auch noch Mut…
King Vidor inszeniert die Story als eine Art Kindergeburtstag, ein Cowboy-Spiel, in dem Billy im Saloon zwei Bösewichter erschießt und sich gleichzeitig zwei Herren smalltalkend über gegenseitige Einladungen zum Sonntagmittagtee unterhalten. Tunstall wurde erschossen, Billy hatte Rache geschworen, Claire trauert circa eine Einstellung lang, dann hat sie wieder ihr helles Kleid an. Und hilft fleißig bei der Schießerei zwischen den Siedlern um Beschützer Billy und den Schurken um Donovan – Pat Garrett gehört zu denen, doch er versucht, ein richtiges Leben im falschen zu führen, ist eigentlich völlig in Ordnung und nur dem Recht untertan. Während der Schießerei und Belagerung wird Kaffee gereicht, einer spielt ein Geduldspiel, und am Ende gab es 28 Tote.
Vidor, davon kann man wohl ausgehen, weiß um die Naivität der Geschichte. Und spielt aus, was er an Qualität hat: Er bringt Legende, Wildwestaction und Komik zusammen. Es gibt eine unglaubliche Gag-Sequenz um ein störrisches Maultier, dem zwei Herren beizukommen versuchen mit dem Ergebnis, dass das Maultier irgendwann auf dem einen der beiden sitzt und dann den anderen Chuck-Norris-mäßig roundhousekickt. Als Claire und Tunston sich erstmals nach langer Zeit am Bahnhof begegnen, stehen sie innig blickend einander gegenüber – »Die Engländer küssen sich nicht bis zur Silberhochzeit«, weiß einer der Umstehenden. Als Billy sich in einer Höhle verschanzt und sieben Tage Belagerung überstanden hat, brutzelt Pat Garrett am Höhleneingang Speck, so knusprig, dass man ihn beinahe im Zuschauerraum riechen kann, lecker…! Billy muss da natürlich aufgeben. Am Ende des Films lässt Pat Garrett Billy laufen, und Vidor tut damit das, was Quentin Tarantino mit dem Dritten Reich oder den Mansonmorden macht: Er biegt die Geschichte so hin, wie sie in einer idealen Welt hätte laufen sollen. Ja verflucht, murmelt Garrett augenzwinkernd, so weit daneben schieße ich sonst nie! Und wie schnell Billy wegreitet – Verfolgung hat da keinen Zweck. Mexiko ist ja sooo nah!
Unglaublich unterhaltsam das Ganze, und jawoll: Es werden im Film sogar Witze erzählt. Einen kannte ich tatsächlich noch nicht, er wird erzählt während der schrecklichen Schießerei: Wie man nämlich das Geschlecht von Papageien bestimmt. Man legt ein Stückchen gebratenen Speck hin. Wenn er es aufpickt, ist es ein Männchen. Wenn sie es aufpickt, ist es ein Weibchen.
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